Aus der Website des Karl Gotsch
Hier wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung des Autors
21. Februar 2021
Vorbemerkung
Mein Vater wurde in dem Dorf Jakobeny in Rumänien geboren. Auch meine Großeltern und meine Urgroßeltern kamen in diesem Ort zur Welt und verbrachten dort ihr gesamtes Leben oder zumindest den größten Teil davon. Wenn trotz dieses Geburtsortes in unserer Familie keineswegs rumänisch, sondern deutsch gesprochen wurde, hat das einen besonderen Grund. Dieser besondere Grund ist die Landsmannschaft der Zipser, der meine väterlichen Vorfahren angehörten, verbunden mit ihrer besonderen Geschichte. Es gilt daher, erst einmal über die Geschichte der Zipser Deutschen zu berichten.
Die Zips und die Ursprünge ihrer Besiedlung
Die deutsche Bezeichnung Zips ist auf heutigen Landkarten kaum mehr zu finden. Es handelt sich hierbei um die slowakische Beckenlandschaft südöstlich der Hohen Tatra, die seit 1945 die slowakische Bezeichnung Spis trägt. Zeitlich ist ein weiter Schritt zurück in das 12. Jahrhundert vorzunehmen. Die ungarischen Könige waren dabei, ihr Königreich zu festigen. Die Verwaltung wurde neu geordnet und es wurden Handwerker und Ackerbauern in das Land gerufen. Um die reichen Bodenschätze abbauen zu können, riefen die ungarischen Könige Ladislaus und Geisa II. deutsche Siedler und Bergleute in ihr Reich. Diese Siedler kamen aus Süddeutschland, Schlesien und den flämischen Gebieten. Einem Teil dieser Kolonisten wurde das südöstlich der Hohen Tatra liegende oberungarische Bergwerksgebiet in der Gespanschaft (Verwaltungsbezirk) Szepes, zu deutsch Zips, zugewiesen. Die bedeutendsten 24 Städte dieses Gebietes, an der Spitze Leutschau, Käsmark und Göllnitz, erhielten weitgehende Privilegien. Durch Freibriefe im Jahr 1271, die durch König Ludwig den Großen (1326-1382) bestätigt wurden, erhielten diese Städte den Rang einer Freistadt. Sie unterstanden nicht mehr dem Gespan, sondern unmittelbar dem König. Durch die überwiegende Besiedlung dieses Gebietes durch Deutsche und deren verwaltungsmäßigen Selbständigkeit bildete sich eine deutsche Sprachinsel inmitten der slawischen Umgebung heraus, die sich in der Form der Sprache festigte und über mehrere Jahrhunderte Bestand hatte. Dieses Zipser-Deutsch war auch die Sprache meiner Großeltern.
Die Besiedelung der Bukowina
Die Bukowina ist eine Landschaft am Ostabhang der Karpaten, zwischen dem Dnjester im Nordosten, der dem Schwarzen Meer zuströmt, und der Goldenen Bistritz im Südwesten, deren Wasser über den Seret der Donau zugeführt werden. Im Vetrag von Konstantinopel, der am 7.5.1775 zwischen der Türkei und Österreich geschlossen wurde, traten die Türken das Gebiet der nördlichen Moldau an Österreich ab. Nach der Bezeichnung für eine kleinere Waldlandschaft wurde dieses nun östlichste Kronland der österreichischen-ungarischen Monarchie Bukowina, zu deutsch Buchenland, benannt. Das Land war wenig besiedelt. Viele Einwohner hatten das Land während des vorangegangenen russisch-türkischen Krieges verlasen. Durch das sogenannte Toleranzpatent, einem Handschreiben Kaiser Josef II., Sohn und Mitregent von Kaiserin Maria Theresia, wurde der Weg zur Besiedlung der Bukowina freigemacht. Die annehmbaren Konzessionen, die Zusicherung nationaler und konfessioneller Freiheit und ganz besonders die Befreiung von Militär- und Kriegsdienst ließen viele Menschen den Entschluß fassen, in dieses neue habsburgische Territorium zu ziehen. Um das Jahr 1780 begann die Einwanderung der Oberschlesier und Galiziendeutschen, der Böhmer und der Pfälzer-Schwaben. Von der österreichischen Regierung wurde 1777 eine K.u.K. Schürfkommision eingesetzt mit der Aufgabe, das erworbene Land in geologischer und bergmännischer Hinsicht zu untersuchen. So wurden die reichhaltigen Erzlager von Jakobeny und die Kupfervorkommen in Poschorita und Luisental entdeckt und auch alsbald erschlossen. Es lag nahe, in diesen Dörfern die erfahrenen Zipser Bergleute aus Oberungarn anzusiedeln. Im südlichen Teil der Bukowina wurden so sieben Zipsersiedlungen gegründet:
1. Jakobeny 1784 und
2. Kirlibaba-Mariensee-Ludwigsdorf 1796 im Tal der Goldenen Bistritz
3. Poschorita 1805,
4. Luisental 1805 und
5. Eisenau 1808 im Tal der Moldau
6. Freudental 1809 im Tal der Moldawitza
7. Stulpikani 1809 im Tal der Sucha
Die Jakobener Zipser
Die nach Jakobeny ausgewanderten Familien stammen aus folgenden Städten und Dörfern der Zips:
Aus Einsiedl:
Drotzinger, Duck, Gärtner, Göttel,Hönig, Joschy, Klein, Kohler, Kolarik, Koschka, Kozmann, Kucharek, Lerch, Löffler, Meitner, Münich, Nigelski, Regetz, Sapadi, Schlosser, Schneider, Seufzer, Simon, Stark, Steiner, Spitschuh, Thomasi, Theiss, Weishaupt,Wenzel
Aus Göllnitz:
Brauer, Brodacz, Gotsch, Gorski, Hennel, Hermely, Kandra, Knoblauch, Krieger, Leutscher, Muhm, Müller, Quirsfeld, Skibak, Ublauer, Wagner
Aus Schwedlar:
Dobosch, Grän, Heinz, Knebel, Kotzur, Müller, Theiss, Tambor, Wenzel
Aus Schmöllnitz:
Reiss, Stenzel, Terschanski
Aus Laposch:
Tauber
Aus Stoss:
Otschofski, Zippenfenig
Bergbau und Ansiedlung
1783 wurde durch die 1782 gegründete Bergbaugesellschaft mit dem Bau eines Hochofens sowie eines Eisenwerkes begonnen. Zugleich wurde mit dem Bau von 12 Arbeiterwohnungen begonnen und die ersten Bergleute aus Siebenbürgen und der Zips herbeigeholt.
Mit dem Erwerb des Eisenwerkes durch den Steiermärker Ritter Anton Manz von Mariensee im Jahr 1796 begann die Blüte des Jakobener Bergwerkbetriebes wie auch der anderen Betriebe, die von Manz z.B. in Kirlibaba erworben wurden. So holte Manz allein im Jahr 1796 rund 40 weitere Familien aus der Zips nach Jakobeny, wovon 22 nach Kirlibaba weiterzogen. Schon bald zeigte es sich jedoch, das die Bergwerksbetriebe in Jakobeny und Kirlibaba nicht die erwartete Rentabilität erbrachten. Sie konnten vorrübergehend nur deshalb aufrechterhalten werden, weil Manz 1821 die Kupferbergwerke in Poschoritta erwarb und dort reichhaltige Kupfererze erschloß.
Die Siedler erhielten grundsätzlich ein Haus oder eine Blockhütte, sowie ein Stück Grund. Haus und Grund wurden jedoch nicht in Erbbesitz übereignet, sondern konnten nur während der Zeit ihrer Tätigkeit im Bergwerk gegen eine Pachtzahlung von 30 bis 40 Kronen genutzt werden. 1836 erfolgte für die Gebirgsgegend der Kimpolunger Herrschaft, wozu auch Jakobeny gehörte, eine Änderung der Eigentumsverhältnisse, wonach Erbbesitz eingeräumt wurde.
Beschreibung von Jakobeny
Im 1931 m hohen Bila-Massiv entspringt die Goldene Bistritz, aus derem Sand noch bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts, meist von Zigeunern, Gold gewaschen wurde. Als wilder, reißender Fluß bringt sie die erste Strecke zwischen steil aufragenden Berghängen durch Urwälder hinter sich, erreicht bei Kirlibaba die Bukowina und nach weiteren 20 Kilometer die 900 m hoch gelegene Bergarbeitersiedlung Jakobeny. Im Gegensatz zum ununterbrochenen Gebirgszug auf der rechten Talseite, der im 1709 m hohen Suhardelul gipfelt, sind die Höhen auf der linken Seite niedriger und ermöglichen mit dem 1096 m hohen Mestekaneschter Paß einen Übergang zum benachbarten Moldautal.
Der Ort war geprägt von den im Blockhausstil erbauten Holzhäusern der Bewohner sowie von den Manz`schen Einrichtungen für den Erzabbau, Hochöfen, Gießerei und der Bergwerksverwaltung. Hinzu kamen als Ausfluß der Konfessionsfreiheit eine evangelische, eine katholische, eine orthodoxe Kirche und der jüdische Tempel. Als weitere auffallende Baulichkeiten sind noch das Sägewerk, das Kulturzenrum “Deutsches Haus” sowie das Schwefelbad Pucios zu nennen. Flußaufwärts, von Dorna-Watra kommend, erreicht die Kaiserstraße (hier soll Kaiser Franz der II. durchgeritten sein) Jakobeny, um von hier über den Paß nach Kimpolung ins Moldautal zu wechseln. Schon früh wurde parallel hierzu eine Eisenbahnstrecke für den Transport von Holz und Eisenerz errichtet. In Jakobeny wurde in der Bistritz ein großes Flußwehr aus Baumstämmen und Kiesfüllunen errichtet, um mit dem gestauten Wasser auch in ungünstigeren Jahreszeiten den umfangreichen Flößereibetrieb zu ermöglichen.
Die Umsiedlung
Das Deutsche Reich und die UDSSR grenzten im Nichtangriffspakt vom 23.8.1939 ihre Interessensphären in Osteuropa ab, worauf die deutsche Bevölkerung außerhalb des deutschen Interessengebietes (Baltikum und Galizien) ins Reich umgesiedelt wurde. Mit Abschluß dieser Umsiedlung forderte die UDSSR im Juni 1940 Rumänien ultimativ auf, ihr Bessarabien und die nördliche Bukowina abzutreten. Das Deutsche Reich riet Rumänien, nachzugeben und handelte mit Rußland die Umsiedlung der deutschen Bevölkerung aus. Während des Verlaufs dieser Umsiedlung handelte das Deutsche Reich am 22.10.1940 auch mit Rumänien einen Vertrag aus, daß sich die deutsche Bevölkerung der südlichen Bukowina, der Norddobrudscha, der Moldau und der Walachei der Umsiedlung anschließen konnten.
Während die UDSSR den vollständiegen Aufbruch der deutschen Bevölkerung erzwungen hatte, erfolgte die Umsiedlung der deutschen Bevölkerung der rumänischen Gebiete freiwillig. Da die rumänische Regierung in den Einzelheiten des Umzugs großzügiger war als die sowjetische, entschloß sich nach anfänglichem Zögern der größte Teil der Bevölkerung dazu.
Mit sechs Eisenbahntransporten aus Jakobeni und vier Transporten aus Dorna (111 Eisenbahntransporte für die ganze Südbukowina) zu je 500 Personen wurde die deutsche Bevölkerung über Radauz, Klagenfurt, Budapest nach Graz, Leoben und Bruck an der Mur in Österreich verbracht. Die Umsiedlung war Mitte Dezember 1940 abgeschlossen.
Folgende Familien Gotsch verließen ihre Heimat.
Untere Fuhrmannsgase: Gotsch Franz, Gotsch Michael, Gotsch Franz
Obere Fuhrmannsgasse: Gotsch Karl
Kaiserstraße: Gotsch Karl und Theresia, Gotsch Gottfried und Johanna
Die Czotina (Gasse): Gotsch Karolina (Kollegas) ?
Oberes Manzental: Gotsch Fritz, Gotsch Karl
Folgende Familien Wagner siedelten um:
Obere Fuhrmannsgasse: Wagner Jakob, Wagner Kathi, Wagner Franz
Am Klopatsch: Wagner Karl und Rosa
Unteres Manzental: Wagner Karl
Folgende Familien Schneider siedelten um:
Putschoß: Schneider Ludwig
Kaiserstraße: Schneider Gottlieb
Im Eisental: Schneider Rudolf Stefanie
Der Weg über viele Stationen
Der Transport nach Österreich war lediglich die erste Station auf einem langjährigen Weg, der durch ganz Deutschland führen sollte. Immer wieder erfolgte während des Krieges eine Verlegung von einem Lager zum nächsten. Gegen Kriegsende in Schlesien oder im heutigen Slowenien angelangt, erfolgte mit dem Rückzug der Wehrmacht wieder eine Verlegung nach Österreich. Nach dem Krieg verlagerte sich die weitere Odyssee nach Westdeutschland, wo die zwischenzeitlich getrennten Familien endlich – nach teilweise 15 Jahren- eine neue Heimat fanden.
Der Weg meiner Großeltern Karl und Theresia Gotsch:
1941: Graz, Leipzig, Krummenhennersdorf, Rodewisch
1942: Bautzen, Dzieditz, Andrichau
1945: Gmunden
1948: Schalding, Weinsberg
1950: Backnang, Ludwigsburg
1954: Tamm
Quellennachweise
Erich Beck: Bukowina, Land zwischen Orient und Okzident
Hauser/Herberth: Jakobeni und Kirlibaba, Bände 1 und 2