Teil 4: Die Wiederbesetzung der Nordbukowina 1941 durch die rumänische Armee
Aus der Website des Willi Kosiul
Hier wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung des Sohns des Autors
21. Februar 2021
Teil 3: Das Leben der Bewohner der Nordbukowina unter sowjetischer Besetzung
Als am 22. Juni 1941 die deutsche Wehrmacht in breiter Front –von der Ostsee bis zu den Beskiden- in die Sowjetunion eingefallen und die rumänische Armee im südlichen Frontabschnitt –im Raum Jassy – Galatz- nach Bessarabien vorgedrungen war, entstand im Raum der Nordbukowina ein Vakuum. Da die hier –in der Nordbukowina- anwesenden sowjetischen Truppen nicht in eine Einkreisung geraten wollten, zogen sie sich selbstständig und vorzeitig aus diesem Gebiet –kampflos- nach Osten zurück. Erst danach überschritten am 01. Juli 1941die rumänischen Truppen –aus Sereth, Radautz und Suczawa kommend- nach Nordosten die Grenze und folgten der abgezogenen Sowjetarmee, in die Nordbukowina hinein. In diesem rumänischen Frontabschnitt gab es zu dieser Zeit keine deutschen Einheiten.
Am 02. Juli erreichten rumänische Infanterieeinheiten –auf der Fernverkehrsstraße- die 20 km von der Grenze gelegene Marktgemeinde Czudyn, auf ihrem Vormarsch über Storozynetz nach Czernowitz. Da in der Marktgemeinde Czudyn, wie auch in Storozynetz und Czernowitz sehr viele jüdische Bürger lebten, begann man -besonderes an diesem ersten eingenommenen Ort Czudyn- sich an der jüdischen Bevölkerung –für ihre politische Handlung vom 28. Juni 1940, beim Einmarsch der Sowjetarmee in die Nordbukowina- besonders zu rächen. Hier wurden aus Czudyn sowie aus allen Ortschaften der Umgebung, alle jüdischen Bürger (vom Kind bis zum Greis) durch rumänische Soldaten aus ihren Wohnungen geholt und in Czudyn im ehemaligen Gerichtsgebäude konzentriert untergebracht und danach sofort alle erschossen. Beim Einmarsch in die weitere Nordbukowina –wie in den Städten Storozynetz, Czernowitz, u. a. ließ danach diese Brutalität von Czudyn dort etwas nach.
Bei meinen Reisen in die Bukowina und den dortigen Nachforschungen berichtete mir ein dortiger damaliger Zeitzeuge aus Czudyn folgendes: „Nach Kriegsbeginn zwischen Deutschland / Rumänien und der Sowjetunion im Juni 1941 marschierten Anfang Juli rumänische Truppen in die Nordbukowina ein und besetzten es wieder. Als Czudyn durch die rumänischen Truppen wieder besetzt wurde, wurden alle dortigen Juden aus Czudyn und der Umgebung am 05. Juli 1941 durch das rumänische Militär in ihren Wohnhäusern festgenommen, in das Gerichtsgebäude gebracht und zunächst dort eingesperrt.
Im Zuge dieser Verhaftungsaktion gelang es einem jungen männlichen Juden, an diesem Tage aus seiner Wohnung im Zentrum von Czudyn, zu fliehen, was jedoch von den rumänischen Soldaten gesehen wurde. Dieser fliehende Jude lief zu Fuß –aus seiner Wohnung im Zentrum von Czudyn- durch den Ortsteil Kornischor und über die große Hutweide in Richtung Gemeindewald, um sich in den Waldkarpaten zu verstecken und zu retten. Doch ein rumänischer Soldat nahm auf einem Pferd als Reiter die Verfolgung auf, holte diesen fliehenden Juden -auf der großen offenen Hutweide- ein und erschoss diesen Juden -am Tage- auf der Stelle, vom Pferd herab. Einige Bewohner dieser Gegend sollen diese Mordhandlung beobachtet und gesehen haben.
Aus dem Gerichtsgebäude heraus, mussten einige Juden hinter dem Gerichtsgebäude ein großes Massengrab schaufeln, worin sie später alle „verscharrt“ wurden. Diese rumänischen Soldaten hatten allen Juden vorher alle Wertgegenstände, wie Bargeld, Uhren, Ringe, Ketten, Broschen usw. abgenommen, sie zunächst ausgeplündert und erst danach erschossen. So erfolgte in diesem Gerichtsgebäude von Czudyn die Erschießung dieser 634 Juden, vom Kind bis zum Greis. Die in den unteren Räumen und der ersten Etage des Gerichtsgebäudes eingesperrten Juden wurden durch rumänische Soldaten in den jeweiligen Räumen am Fenster einzeln mit Pistolen durch Genickschuss bzw. Kopfschuss, einer nach dem anderen, erschossen und danach aus dem offenen Fenster nach draußen geworfen. Einige rumänische Soldaten standen draußen auf dem Gerichtshof vor den Fenstern und hatten die erschossenen Juden als Leichen in Empfang zum Weitertransport übernommen. Mit selbst gebastelten langen Metallhaken und ähnlichen Geräten hatten sie in die Bekleidungs- Gegenstände der Toten eingehakt und sie auf der Erde, hinter das Gebäude, auf der Erde zum Massengrab gezogen. Am Massengrab waren andere rumänische Soldaten postiert, die die Aufgabe hatten, die heran gezogenen Toten in das Massengrab zu werfen und nach Beendigung der Exitution das Massengrab mit Erde zu bedecken.
So mancher dieser rumänischen Soldaten hatte sich durch die Ausplünderung dieser Juden persönlich bereichert. Ganz brutale rumänische Soldaten schreckten nicht davor zurück, den toten Juden die goldenen Zähne mit den Schuhspitzen aus dem Munde heraus zu schlagen, um diese auch noch erbeuten zu können.“ So soll sich da eine unmenschliche Massenmordtat am helllichten Tag abgespielt haben. Wie mir dort meine Reisebegleiter auch berichtet hatten, wurde diese unmenschliche Massenmordaktion von einigen Bewohnern gesehen und beobachtet. Mein über 80-jähriger Reisebegleiter, der ja gebürtiger Czudyner war, will es auch selber gesehen und heimlich beobachtet haben.
Für diese so bestialisch durch rumänisches Militär ermordeten 634 Juden aus Czudyn und der Umgebung, wurde dort Denkmal auf dem Hofe dieses Gerichtsgebäudes errichtet. Ich habe es persönlich gesehen und auch bildlich festgehalten. Dieses Ehrenmal besteht aus einer großen grauen Betontafel auf einem Sockel. Die goldfarbene Inschrift ist auf schwarzem Untergrund in russischer Schrift mit dem Text: „ Den ermordeten 634 Juden 1941 durch die Okkupanten.“
Solche Judenerschießungen gab es 1941 nicht nur in Czudyn, sondern auch in anderen Orten und Städten der Nordbukowina. Diese Erschießungsaktion der Juden in mehreren Orten der Nordbukowina 1941, nach der Wiederbesetzung durch die königlichen rumänischen Truppen, erfolgte auf Befehl des rumänischen kommandierenden Generals dieses Frontabschnittes.
In der dortigen Bevölkerung wurde danach darüber gar nicht gesprochen bzw. diskutiert. Auch die Zeitzeugen die diese Mordprozeduren damals dort zufällig gesehen bzw. heimlich beobachtet hatten, wie auch mein alter Reisebegleiter aus Czudyn, hatten darüber geschwiegen. Es gab dazu an keinem dieser Orte einen Protest der dortigen Bewohner gegen diese brutale Ermordung der Juden durch das rumänische Militär. Auch von Mitlied war da nichts zu spüren oder zu hören. Die Mehrheit der rumänischen Bewohner verhielt sich dazu passiv bis desinteressiert und als alles vorbei war, da war für sie alles erledigt.
Die Auffassung in der dortigen Bevölkerung war damals dazu unterschiedlich. Einige dortige rumänische Bewohner betrachteten damals die Juden, aus ökonomischer und moralischer Sicht als „Betrüger und Spekulanten“ an den dortigen Einwohnern, die als Kunden bei ihnen eingekauft hatten. Dabei spielte der Neid und die Missgunst auch eine Rolle, das sehr große soziale Gefälle zwischen den armen Rumänen und den reichen sowie wohlhabenden Juden. Diese sozialen Gründe , die Armut vieler dortiger Rumänen, ihre Untertänigkeit sowie die materielle und finanzielle Abhängigkeit von den reichen jüdischen Geschäftsleuten oder Unternehmern, in der vorherigen rumänischen Herrschaftszeit, spielte dabei auch eine große Rolle. Ja auch so manche schlechte oder ungerechte persönliche Behandlungen der Rumänen durch jüdische Geschäftsleute und Unternehmer führte dazu, dass es verallgemeinert wurde und solche Rumänen auf die „überheblichen reichen Juden“ nicht gerade gut zu sprechen waren. Solche angestandenen, angestauten persönlichen Differenzen und Konflikte zwischen einzelnen Rumänen und manchen Juden führten auch zu dieser antijüdischen Haltung der dortigen Bewohner. Sie führten auch zu ihrer Haltung, in Czudyn, Storozynetz sowie Czernowitz und auch anderen Orten zu diesen Erschießungsaktionen sowie Mordtaten an den Juden.
Aus politischer Sicht wurden die Juden damals dort als Verräter am rumänischen Königreich betrachtet, weil sie mit der Sowjetunion paktierten und bei der Besetzung der Nordbukowina im Juni 1940 die Sowjetarmee als ihre Befreier betrachteten und feierten. Bei der Besetzung der Nordbukowina durch die Sowjetunion sahen viele Juden die einmarschierende Sowjetarmee – in der Tat- als ihre Freunde und Verbündete an. Besonders die jüdischen Studenten begrüßten am 28. Juni 1940 öffentlich auf den Straßen und Plätzen in Czernowitz die Rote Armee mit roten Fahnen und Blumen als ihre Befreier. Deswegen bezeichneten bereits damals so manche Rumänen, voller Hass die Juden als Verräter an ihrem bisherigen Vaterland Rumänien. Besonders die Angehörigen bzw. Anhänger der radikalen nationalen Partei der „Cusisten“ sowie auch der „Eisernen Garde“ Rumäniens, die in ihrer gesamten politischen Haltung gegen die Juden waren, konnten damals mit diesen Beispielen voller Hass und sehr wirksam, die Juden als Verräter darstellen. In solchen Fällen freuten diese sich über solche „konsequente Abrechnungen“ mit den „jüdischen Verrätern“. Dieser Teil der dortigen rumänischen Bewohner sah diese Erschießungen als eine „rumänische Vergeltung“ gegenüber den „verräterischen Juden“ an. Für sie war das der Tag der „ gerechten Abrechnung“ mit ihren dortigen Juden.
Andere Rumänen die eine andere Auffassung dazu hatten, hatten damals Angst darüber zu sprechen und ihre Meinung dazu zu äußern. Sie wollten nicht, sich deswegen staatlichen rumänischen Repressalien und Verfolgungen aussetzen und politische Nachteile bekommen. Deswegen schwiegen sie lieber darüber.
Der einstige große massive jüdische Tempel in Czudyn, der der einzige Tempel für alle Juden dieser Umgebung war, wurde im Sommer 1941 durch Brandlegung vernichtet und danach vollkommen abgerissen. Nach der Hinrichtung dieser 634 Juden in Czudyn, gab es in Czudyn und Umgebung keinen einzigen Juden mehr. Auch heute ist dort kein Jude wohnhaft.
Der jüdische Friedhof in Czudyn, der der Friedhof aller Juden der Umgebung bis 1941 war, wurde mit der Zeit, durch die Natur aber auch durch Diebstähle von Grabsteinen sowie deren Einfassungen und auch anderen Grabschändungen verwüstet. Auch heute noch -2002- finden dort Grabschändungen, in Form von Schmierereien und Vandalismus, durch Bewohner dieser Gegend statt. Die dortige Polizei hat weder die Kräfte noch ein Interesse daran, sich damit zu beschäftigen.
So scheint die Einstellung der „Andersgläubigen“ zu den Juden, ein allgemeines Problem zu sein, welches auch heute noch in vielen Ländern Europas latent oder auch offen vorhanden ist.