Deutsch-Böhmisches Kochbuch

[Deutsch-Böhmisches Kochen im 19. Jh. Bukowina]

Dr. Valentin Reitmajer

Veröffentlicht 14. Februar 2003


Nachfolgend finden sich die Einleitung und einige ausgewählte Beispiele aus Dr. Valentin Reitmajers Kochbuch der Deutschböhmen, die 1838 ihre Heimat im Böhmerwald verließen und das Dorf Pojana Miculi (Buchenhain) im südlichen Buchenland gründeten. Das Buch enthält mehr als 60 Rezepte, ein Glossar, das die deutschböhmischen Ausdrücke ins Hochdeutsche übersetzt, ein Inhaltsverzeichnis, 9 Fotografien und eine Landkarte.

Reitmajer, Valentin. Deutsch-Böhmisches Kochbuch: Original biologisch-dynamische Rezepte aus der Küche meiner deutsch-böhmischen Urgroßmutter. (Oberding: Reimo Verlag, 1997), 87 Seiten. ISBN 3-9805810-1-2

EINFÜHRUNG:

1. Die Geschichte der deutsch-böhmischen Küche

Die Geschichte der hier vorgestellten Rezepte, die seit fast 200 Jahren von Generation zu Generation mündlich weitergegeben wurden, kann man wahrlich als abenteuerlich bezeichnen.

Meine Urgroßmutter wurde 1832 in einem winzigen Dörflein im Böhmerwald, unweit Bayerisch Eisenstei

 

n im Bayerischen Wald, als Kind deutschstämmiger Waldarbeiter, vermutlich aus der Oberpfalz zugewandert, geboren. Da ihre Eltern im Böhmerwald wohl keine Zukunft sahen und sicherlich mit Gütern nicht gerade gesegnet waren, nahmen sie im Jahre 1838 das Angebot des österreichischen Kaiserhauses, zu dessen Reich Böhmen damals gehörte, dankbar an, in die im heutigen Rumänien gelegene BUKOWINA auszuwandern.

Die Bukowina war damals und bis 1918 das östlichste Kronland der riesigen, viele Nationen umspannenden Donaumonarchie Österreich – Ungarn. Und genau dort versprach der Kaiser den auswanderungswil­ligen Deutsch-Böhmen Land und Auskommen.. Also machten sich die Eltern meiner Urgroßmutter zusammen mit 37 anderen Familien auf und wanderten, mit ihren Habseligkeiten bepackt, über 1000 km zu Fuß von Böhmisch- Krumau, (heute: Ces­ky Krumlov) aus über Galizien in die ersehnte neue Heimat.

Auf ihrem, vor allem für die Kinder beschwerlichen Fußmarsch, meine Urgroßmutter war gerade 6 Jahre alt, wurden die Siedler von einer kaiserlichen Eskorte begleitet und beschützt. Als sie jedoch nach monatelanger, entbehrungsreicher Wanderung in der Bukowina anlangten, war die Enttäuschung groß, denn wo sie sich ansiedeln sollten, war nichts als Urwald! Der Kaiser hatte gerufen, aber nicht Wort gehalten. Da es kein zurück gab, krempelten die Eltern meiner Urgroßmutter und die anderen Siedler die Ärmel hoch und rodeten den Wald, bauten zunächst not­dürftige Hütten, später richtige Häuser aus Holz so wie sie es von zu Hause, dem Böhmerwald, gewohnt waren und betrieben kleine Landwirtschaften. Auch ansonsten machten sie fast alles wie zu Hause in Böhmen. Die Art zu bauen, zu singen, zu sprechen und natürlich auch zu kochen.

Im Laufe der Zeit entstand ein richtiges, deutsch-böhmisches Dorf -sie nannten es Pojana Micului, auf deutsch Buchenhain – mit Kirche und Schule. Und die 38 Gründerfamilien waren innerhalb von 100 Jahren zu einer Dorfgemeinschaft von ca. 2000 Seelen herangewachsen.

Die böhmische Heimat wurde aber in all den Jahren nie vergessen und am abendlichen Kaminfeuer, wenn Frauen und Mädchen am Spinnrad saßen und die Männer Holzschuhe und andere Gegenstände schnitzten, wurde darüber viel erzählt. Die Buben erlernten von ihren Vätern die Feld- und Waldarbeit, die Mädchen von ihren Müttern die Küchen- und Hausarbeit, so wie die­se es wieder von ihren Eltern übernommen hatten. Auf diese Weise war es ganz natürlich, daß die Töchter – so auch meine Urgroßmutter, Großmutter und Mutter – die Art zu kochen von ihren Müttern über­nahmen und diese wieder an ihre Töchter weitergaben, ohne daß jemals Rezepte aufgeschrieben werden mußten.

Denn wie in der Sprache und sonstiger Tradition achteten die Deutsch-Böhmen sehr sorgfältig auf ihre Tradition, obwohl sie oder gerade weil sie in der Bukowina in einem Vielvölkerstaat lebten, umgeben von Rumänen, Russen, Tschechen, Ungarn, Huzulen und Juden, die ebenfalls auf ihre Tradition achteten. Insgesamt aber lebten alle Volksgruppen – im Grunde vorbildhaft für das heutige Europa – recht friedlich nebeneinander und miteinander. Ja, sie übernahmen manchmal sogar das eine oder andere voneinander, wie die Rezepte zum Teil zeigen.

Nach ca. 100 Jahren war jedoch alles zu Ende. Während des Zweiten Weltkrieges, im Winter 1940, wurden die Dörfler halb freiwillig, halb gezwungen von den Nationalsozialisten im Rahmen der Aktion „Umsiedlung Süd-Buchenland” – besser bekannt unter dem Slogan „Heim ins Reich” – in das Deutsche Reich evakuiert.

Sie landeten zunächst in einem Lager in der österreichischen Steier­mark und wurden dann in Polen für kurze Zeit als sogenannte „Front­bauern” angesiedelt. Gegen Ende des Krieges flüchteten sie mit Pfer­defuhrwerken vor der herannahenden russischen Front nach Deutsch­land, wo die meisten in Niederbayern, aber auch in anderen Landschaften Deutschlands nach einer entbehrungsreichen Zeit neue Heimat fanden.

Ihr Dorf hatte aufgehört zu existieren, da es von der deutschen Armee vor den herannahenden Russen niedergebrannt wurde. Erst Jahre später wurde es teilweise von Rumänen wieder aufgebaut, hatte jedoch nicht mehr Aussehen und Struktur von früher. Heute sind die meisten von ihnen alt oder bereits gestorben. Ihre Art zu sprechen, zu singen, aber ganz besonders zu kochen, gerät mit dem Tod der letzten noch lebenden Siedlern Buchenhains in Vergessenheit, denn ihre Kinder haben sich in die jeweiligen deutschen Verhältnisse eingefügt und sich in der Regel so sehr assimiliert, daß ihnen die Küche ihrer Vorfahren fremd geworden ist.

Auch mir ist es so ergangen, bis ich vor nicht allzu langer Zeit ent­deckte, wie schade es eigentlich wäre, wenn eine ganze Kochtradition und Eßkultur völlig in Vergessenheit geraten würde – und, wie aktuell diese Küche eigentlich in einer Zeit ist, die von überfeinerter Küche zum einen, aber ganz besonders von unnatürlicher, ungesunder und abgepackter Industrienahrung zum anderen überschwemmt wird.

Viele Menschen, insbesondere die ernährungsbewußten, wollen sich heute wieder, mit gutem Grund, natürlich und mit biologisch ein­wandfreier Kost ernähren. Und genau dafür bieten die folgenden Rezepte der deutsch-böhmischen Küche vielfältige Ideen und Anreize.

Deshalb habe ich versucht, herauszufinden, wie meine Vorfahren, die Deutsch-Böhmen, wohl zur Zeit meiner Urgroßmutter gekocht und gegessen haben. Zum Teil wußte ich es natürlich noch aus meiner Kindheit, als Mutter noch lebte und ebenso kochte. Die Details habe doch Frau Berta E I G N E R aus Julbach/Inn zu verdanken, die mit ihren 75 Jahren noch heute wie zu Hause, in Pojana Micului, kocht und mir viele Geheimnisse ihrer Kochkunst verraten hat.

2. Das Besondere der deutsch-böhmischen Küche

– ohne künstliche Zutaten

Daß diese Art zu essen schon fast zwei Jahrhunderte alt ist, sagte ich bereits. Dennoch ist es interessant und nicht ohne Bedeutung, sich darauf zu besinnen und zu sehen, wie man sich damals ohne Kühl­schrank, ohne Kühltruhe, ohne Supermarkt um die Ecke und ohne jedwede künstliche Mittel (Schadstoffe!) ernährte, Lebensmittel kon­servierte und mit einfachen Mittel sich abwechslungsreich ernährte. Denn es gab natürlich im Dörfchen Pojana Micului keinen Metzger, keinen Bäcker, keinen Lebensmittel- und Getränkeladen und auch keinen Obst- oder Gemüsehändler.

Jede Familie versorgte sich selbst, ohne künstliche Düngungsmittel oder Konservierungsstoffe auch nur zu kennen, geschweige denn anzuwenden. Und die nächste Stadt war ca. 30 km entfernt, was zu Fuß oder mit dem Pferd eine beträchtliche Strecke war.

– einfach, aber schmackhaft und gesund

Da die Siedler in Buchenhain meist eher arm als reich waren und viele Kinder hatten – acht bis zehn waren fast die Regel -, sah man sich gezwungen, möglichst einfach, oftmals fast schon spartanisch zu kochen. Daß dies jedoch nicht auf Kosten der Schmackhaftigkeit, Natürlichkeit, vor allem aber der Gesundheit ging, zeigen die Rezepte, die ungemein schmackhafte und abwechslungsreiche Gerichte bieten.

Natürlich waren alle Lebensmittel biologisch einwandfrei da sie, mit nur wenigen Ausnahmen, von eigener Hand und ohne künstliche Zutaten hergestellt wurden. Heute würde man dazu biologisch-dynamische Lebensmittelerzeugung sagen.

– originell und original

„Deutsch-böhmische Küche! Ach, böhmische Küche!” mag so mancher sagen, der dies hört. Ich weiß, schon: „Knedlicky”, „Bowidldatschgerl”, „Schweinebraten mit Sauerkraut” und die „Musi” spielt dazu. Weit gefehlt! Die hier vorgestellte Küche hat damit nichts oder kaum etwas zu tun. Sie ist weder das, was man unter typisch deutscher, noch das, was man unter typisch böhmischer Küche versteht. Sie ist etwas ganz Original-Originelles, sie ist eben die „Deutsch-Böhmische Küche”!

3. Deutsch-Böhmische Küche vom Feinsten

Natürlich war an Werktagen, schon der Not gehorchend, „Schmalhans” Küchenmeister bei den Dörflern, was nicht heißt, daß der Speisezettel nicht schmackhaft und abwechslungsreich gewesen wäre.

An Feier- und Festtagen, wie z. B. Weihnachten, Ostern, Kirchweih, oder bei Hochzeiten und Kindstaufen, wurde alles aufgetragen, was Haus und Hof hergaben.

Yield to the temptation of your “German-Bohemian feast!

Eröffnet wird die Tafel traditionsgemäß mit einer Rindersuppe mit selbstgemachten Bandnudeln („Fleischsubbn mid gschniedne Nuhln”: Rezept, S. 24), der als Hauptmahlzeit das obligatorische gebratene Fleisch („Brodns Fleisch”: Rezept, S. 26) oder/und gebratene Gänse, Enten, Hühner („Andn-, Gockl- Gansbrodn”: Rezept, S. 29) mit Kartoffelpuffern bzw. -kuchen („Dotschala”/”Dotschn”: Rezept, S. 52) oder Kartoffelknödeln („Dreapflgnehl”: Rezept, S. 54) folgen.

Als Salate kommen, je nach Jahreszeit, Gurkensalat („Umurken”: Rezept, S. 58), Tomatensalat („Domadnsolod”: Rezept, S. 58), Grüner Salat („Greana Solod”: Rezept, S. 59), Krautsalat („Graudsolod”: Rezept, S. 57), Gesäuerte Gurken, Mohrrüben, Bohnen („Gseiade Umur­ken, Riabala, Scheula”: Rezept, S. 71) oder Rettichsalat („Radesolod”: Rezept, S. 59) auf den Tisch.

Zur Nachspeise werden gekochte Dörrzwetschgen („Driggade Zwäschbn”: Rezept, S. 74), Dörrapfelscheiben („Epfl-schbaldln”: Rezept, S. 74), Bratäpfel („Brodne Epfl”: Rezept, S. 70) oder im Sommer Beeren-Joghurt-Speise („Bialagansch”: Rezept, S. 74) gereicht.

Dazu gibt es Gebäck, wie z. B. Schmalzgebäck („Scheula”: Rezept, S. 75) oder als besonderen Leckerbissen Mohnstrudel („Mohnschdruhl”: Rezept, S. 78).

Ein kräftiger Schnaps rundet das Mahl ab, zu dem an besonderen Festtagen Wein oder Bier, ansonsten Most getrunken wurde.

Ein ganz besonders wichtiger Bestandteil so eines Festmahles sind aber auch Krautwickel („Galuschde”: Rezept, S. 34) und Knöchelsülze („Gschdonas”: Rezept, S. 67), die den ganzen Festtag über, sozusagen als Zwischenmahlzeiten, den Schmausenden zur Verfügung stehen.

Am späten Nachmittag – das Festessen dauert Stunden – wird Kaffee gereicht, der nur an diesen Tagen und an den Sonntagen getrunken wurde. Dazu servieren die Hausfrauen das schon vorher aufgetragene Gebäck, insbesondere aber das sogenannte „ Waggal” (Hefezopf: Rezept, S. 76), das mit frischer Butter eine ganz besondere Köstlichkeit darstellt.

Haben Sie schon Appetit bekommen?

Versuchen Sie es selbst und veranstalten Sie ein Festmahl, daß sich der Tisch biegt!

4. Deutsch-Böhmische Küche als interessante Alternative

Viele Menschen von heute, ganz besonders die kulinarisch interessierten, sind der viel gepriesenen „Nouvelle Cuisine” oder auch der häufigen Fleischgerichte überdrüssig geworden bzw suchen nach einer deftigen, urigen und zugleich gesunden Abwechslung und Alternative. Insbesondere diese, aber auch alle anderen Leser werden ihre helle Freude an den folgenden, häufig auch fleischlosen Gerichten haben, die ob ihrer Einfachheit und Natürlichkeit verblüffen sowie durch ihre Schmackhaftigkeit, Urwüchsigkeit und Bekömmlichkeit überraschen.

Da die Sprache der Deutsch-Böhmen und damit die Bezeichnung der Gerichte und Zutaten sowie die, die Rezepte umrankenden Geschichten aus dem Dorfleben das Ganze erst richtig original und originell machen, sind, so weit es ohne Lautschrift geht, die Gerichte und Zutatenbezeichnungen im Dialekt der Deutsch-Böhmen, der zwischen Oberpfälzisch und Österreichisch angesiedelt ist, jeweils angeführt bzw. hinzugefügt. Der Verständlichkeit halber werden aber auch die hochdeutschen Entsprechungen immer genannt.

Wer nicht, wie die Dörfler in Pojana Micului (Buchenhain) selbst biologischen Anbau und artgerechte Tierhaltung betreiben kann, muß auf Lebensmittel der erfreulicherweise immer mehr verbreiteten biologischdynamischen Anbieter und artgerechten Tierzüchter zurückgreifen. Manchmal mag es auch etwas mühsam sein, das eine oder andere selbst herzustellen oder im Laden zu bekommen, aber, Sie werden sehen, es lohnt sich!

Versuchen Sie es doch einmal!

Guten Appetit!

Dr. Valentin Reitmajer


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