Das Schwabendorf Illischestie

Veröffentlicht in Bukowina: Heimat von Gestern
(Karlsruhe: Selbstverlag “Arbeitskreis Bukowina Heimatbuch,” 1956), S. 363-65
herausgegeben von Erwin Massier, Josef Talsky, und B. C. Grigorowicz

Veröffentlicht 13. Juli 2021


Da rund dreißig Quadratkilometer große Stückchen nordostkarpatischen Hügellandes, auf dem im Süden der Provinz die Bukowiner Landgemeinde Illischestie liegt, war in vorgeschichtlicher Zeit reich an Wäldern und Sümpfen, aber arm an festem Boden und guten Weidplätzen. Und doch hielten sich auf ihm schon damals Menschen auf, was viele Funde aus grauer Vorzeit beweisen. Diese Menschen waren nordischen Stammes und seßhafte Hirten, und verehrten ihre Götter um einen Opfertisch, der auf dem sogenannten “Kercheniwwel” stand.

Als die meisten dieser Menschen Christen geworden waren und religiöse Betreuer (Priester, Popen) hatten, versammelten auch sie sich zu ihren Andachten auf dem genannten Hügel; sie verwandten den heidnischen Opfertisch als Altar und stellten zum Zeichen seiner neuen Bestimmung and dessen Nordseite ein großes Kreuz aus sarmatischem Sandstein.

Da kam die Völkerwanderung, und mit ihr viel Not und auch oft der Tod über die Bewohner der Gegend von Illischestie. Die am Leben gebliebenen und ihre Nachkommen waren Sklaven fremdrassiger Gebieter geworden. Am längsten hausten in und um Illischestie die Tataren, was nicht nur geschichtlich beglaubigt ist, sondern sich auch als Volksüberlieferung bis auf unsere Tage erhalten hat.

Um die Mitte des 14. Jahrhunderts wurden die Tataren durch die siebenbürgisch-rumänischen Heerführer Dragosch-Voda, Sas und Bogdan nach Südosten verdrängt, und dadurch kamen auch für die Bewohner dieser Gegend wieder bessere Zeiten. Das befreite Land wurde in Verwaltungsgebiete eingeteilt, die meist streifenförmig von den Kämmen der Karpaten gegen Südosten verliefen, und je einen Kapitän (Unterheerführer) als Verwalter erhielten. Um das Jahr 1400 kam auf einem solchen Streifen, der zwischen dem Kortschin- (Corjan-) und dem Budiganhügel lag, als Verwalter und Lehensmann ein gewisser Iliasch, der Obermundschenk Alexanders des Guten. Die Nachkommen dieses Iliasch nannten sich später Ilischesku, und nach ihn wurde ihr Legen zuerst Ilisachi, dann Iliaschinzki, und zuletzt Ilischeschti benannt. Und als auf dem Lehen der Ilischesku ein Dorf entstanden war, nannte man es in der österreichischen Zeit Illischestie (Ilisesti).

Um 1570 verliert sich die Bojarensippe des Ilischesku aus der Gegend, und es erscheinen Anteilbesitzer, unter denen die bedeutendsten die Rezeschen (Freibauern) Isetseskul und Kalmutzki waren.

In einer Schenkungsurkunde Stefans des Großen vom 15. März 1490 wird Illischestie zu ersten Mal erwähnt. Durch diese Urkunde erhielt das Bistum Radautz auch “die Kirche von Iliaschintzi mit dem Popen” Nach der Beischreibung der Schenkung muß angenommen werden, daß es ein Dorf Illischesti im späteren und heutigen Sinne damals noch nicht gegeben hat, sondern nur eine religiöse Sammelstelle für die in seiner Gegend lebenden Freien und Leibeigenen.

Im Jahre 1709 begann Janaschku Istscheskul mit dem Baue des Klosters Ilischesti, das aber wegen der damaligen Kriegereignisse erst am 20. Juni 1714 eingeweiht werden konnte, und das mit der Zeit mit Landgütern samt den darauf lebenden Leibeigenen reichlich beschenkt wurde.

Unterdessen hatten es ab 1476 die Türken auf die Moldau abgesehen. Sie zwangen 1513 den damaligen moldauischen Fürsten zur Anerkennung ihrer Oberhoheit. Und wieder gab es für die Menschen in Ilischesti viel Not und Elend, die besonders die türkische Mißwirtschaft und Willkür verursachten. Die Verhältnisse besserten sich erst, als 1775 die nördliche Moldau auf Grund eines Abtretungsvertrages zwischen der Türkei und Österreich an die Habsburger kam, und damit das Kronland Bukowina entstand.

Nun hatten die Österreicher eine neue Provinz erworben, mit viel fruchtbarem Boden und riechen Bodenschätzen, sie hatten aber keine Menschen, die den Boden fachgerecht bestellen und die Schätze aus dem Innern hätten heben können. Der Versuch, aus Siebenbürgen rumänische Kolonisten für die Bukowina zu werben, schlug fehl, denn die von dort nach Ilischesti gekommenen Sippen der Börgoan, Dobosch, Forgatsch, Rusu und Sönboan reichten bei weitem nicht aus, um hier die Arbeiten bewältigen zu können.

Über Anraten des ersten Landesverwesers der neuen Provinz und des rumänischen Boraren Balsch, wurde daher um den 6. August 1768 durch den Kaiser angeordnet, daß auch die Bukowina mit Menschen aus dem Western Deutschlands zu besiedeln sei, und daß man zu diesem Zwecke vorerst auf den Überschuß der nach Galizien gekommenen Kolonisten zurückgreifen solle. Es dauerte jedoch fast ein Jahr, bis die ersten deutschen Siedler von Lemberg aus in die Bukowina weitergeschoben werden konnten, und darauf noch ein Jahr, bis sie auf Gründen der bereits bestehenden rumänischen Dörfer bestiftet wurden.

Im Zuge der endlich angelaufenen Besiedlung des Landes durch Deutsche kamen “mittels Übertragungsliste vom 14. Juli 1788″ aus der Einquartierung zu Lipoweni, zuerst 19 und später noch 2 deutsche Familien nach Ilischesti. Sie trugen die Namen: Haupt, Bock, Brenner, Hansel, Henker (mit den Kindern des zu Lemberg verstorbenen Otto Kipper), Clemens, Irion, Kerth, Pelz, Theilmann und Zachmann. Es waren zusammen 32 männliche und 37 weibliche Personen. Diese zwölf Familien (die ersten “Zwölfer”, wurden auf enteignetem Klostergut angesiedelt. Ihre Häuser und Nebengebäude standen zu je sechs an einer neuangelegten Straße, der “Zwölfergasse”. Jede Familie bekam einen Grund im Ausmaße von 51,70 Ar für Haus, Hof und Garten, und 14,50 Hektar Ackerboden, Zug- und Hornvieh, Wirtschaftsgeräte und Hausrat, sowie Salzwasserbezugs- und Holzrechte. Außerdem erhielten sie eine gemeinsame Hutweide, Ackergrund für den Lehrer und Pfarrer usw.

Das erste Bild, das die neuen Kolonisten von ihrer Siedlungsstätte zu sehen bekamen, war traurig genug: Die nördlichen und südlichen Teile der Landschaft waren sumpfig. Auch die nachmalige Erlengasse war Sumpfgelände, und die Verbindungswege zu dem Nachbardörfern Brashka und Balatschana bei Regen- und Tauwetter unbrauchbar. Auch gab es keine Brunnen im Gelände. Da machten sich die Siedler tapfer an die Arbeit. Es kamen Mißernten und böse Seuchen, und so konnten die Menschen mit ihren Wirtschaften oft nicht so flott vorwärtskommen, wie es die Behörden erwartet hatten.

Die zweite Reihe der “Zwölfer”, die wir nach dem Verzeichnis von 24. Februar 1795 so nennen wollen, hießen: Armbrüster, Brenner, Bock, Friedge, Gassner, Irion, Henker, Kerth, Müller, Mock Wendling, und Zachmann. Alle diese Familien waren evangelisch, nur die Müllers katholisch.

Nach fünf Jahren schwerster Kolonistenarbeit war es endlich so weit, daß man mit seiner neuen Dorfheimat zufrieden sein konnte. In Illischestie gab es aber damals noch viel brauchbares, brachliegendes Land. Darum schrieben die zweiten Zwölfer an ihre Landsleute in Galizien und luden sie ein, nach Illischestie zu kommen. Viele der Angeschriebenen folgten dieser Einladung, and es kamen weiter deutsche Familien, deren Väter jedoch nicht mehr als “Erbzinsler” auf Staatskosten, sonder als “Untertanen” auf eigen Kosten angesiedelt wurden. Solches geschah besonders in der Zeit zwischen 1800 bis 1835; denn nach einer vorgefundenen Liste vom 1. Januar 1836 lebten zu Illischestie schon damals 88 deutsche Familien, die – nach Weglassung der bereits genannten “Z2ölfer” – hießen: Rumpel, Keller, Gaube, Schum, Haas, Karst, Sauer, Stahl, Hornung, Janz, Scherli, Sehatschik, Schönthaler, Schäfer, Schweizer, Wagner, Fritz, Ast Bayer Drummer, Kissinger, König, Seibert, Hofmann, Ott, Eckardt, Mai, Ehresmann, Knieling, Schädler, Fries, Roos, Birkenmayer, Walter, Kelsch, Web, Klein, und die Familie des Försters Elzholz.

Die von 1836 bis 1918 Eingewanderten nannten sich; Becker, Binder, Bodnar, Bontus, Bosowicki, Braun, Brucker, van de Castel, Decker, Dressler, Duhai, Egner, Eiselt, Faulhaber, Fiesel, Fotar, Fritsch, Galler, Galter, Gierischer, Glass, Gorgon, Halbgewachs, Hartmann, Hehn, Hopp, Hrivnak, Kalinowski, Kasper, Kisilejczuk, Kolmes, Komorowski, Kornelson, Krügel, Krezeminicki, Loy, Müller, Naeher, Neumann, Prall, Presser, Radmacher, Renda, Rump, Schlosser, Scheller, Schöndorfer, Suchar, Talsky, Tomaschewski, Vollmar, Wasilkowski, Weber, Weiss, Wittwer, and Zukowski. (In dieser Anführung sind nur die Namen von Deutschen, die im Orte unbewegliches Vermögen besaßen, enthalten.)

Weitere vereinzelte Einwanderungen von Deutschen nach Illischestie härten erst auf, als die Bukowina 1918 an Rumänien fiel.

Soweit möglich, konnte ermittelt werden, daß in einem Zeitraum von rund 100 Jahren, 1.300 deutsche Menschen aus Illischestie ausgewandert, und nur 225 zugewandert waren. Von den Ausgewanderten zogen 639 in andere Gemeinden der Bukowina, 2 nach Galizien, 3 nach Ungarn, 4 in die Tschechoslowakei, 15 nach Österreich, 23 nach Bosnien, 2 nach Deutschland, 107 nach Rumänien, 1 nach Rußland, 374 nach Nordamerika, 47 nach Südamerika und 83 nach unbekannten Orten.

Am 1. Jänner 1938 zählte man in Illischestie 5.032 Seelen. Davon waren 2.619 Rumänen, 2.322 Deutsche, 76 Juden, und anderer Volkszugehörigkeit. 2.618 waren griechisch-orientalischen Glauben, 2 waren griechisch-katholisch, 192 römisch-katholisch, 2.130 evangelisch, und 76 mosaisch. 9 waren Baptisten und 5 Andersgläubige. 2.420 waren männlichen und 2.612 weiblichen Geschlechtes; 2.020 waren verheiratet, 2.728 ledig, 230 verwitwet, und 14 geschieden.

Es gab zur österreichischen Zeit ein “Deutsch-Illischestie” und ein “Rumänisch-Illischesti”. Jede Gemeinde hatte bis zum Jahre 1867 ihren eigenen Schulzen und einen ebensolchen Gemeinderat. Von da ab gab es nur mehr eine Gemeinde Illischestie, die bis 1918 (außer der Zeit von 1877-1881), immer von deutschen Bürgermeistern zum Wohle und zum Segen beider Nationen betreut wurde.

Schon 1789 wird von der Chronik eine deutsche Schule zu Illischestie erwähnt, und 1803 die Einweihung eines evangelischen Bet- und Schulhauses. 1857 gab es auch ein katholische Privatvolksschule, und 1874 wurden beide Schulen zu einer deutschen öffentlichen Schule vereinigt.

Die erste evangelische Kirch wurde im Jahre 1845, und die zweite, mit einem Fassungsraum für 1.000 Menschen, im Jahre 1901 eingeweiht. Die Katholiken konnten sich in Illischestie die Kirche erst im Jahre 1897 erbauen. Die Betreuung erfolgte durch die Pfarrer aus Joseffalva und Kaczyka.

Neben die Kirchen und Schulen, Kamen in Illischestie als Pflegestätte deutsche Volkstums im Ausland noch der Deutsche Leseverein, die Ortsgruppe des Deutschen Kulturvereins für die Bukowina, der Deutsch Jugendbund und der Deutsche Männerchor, wobei letztere ab 1926 ihre Tätigkeit im Deutschen Hause entfalten konnten.

Um wirtschaftlich unabhängig und vor Feuerschaden sicher zu sein, habe die Illischestier Deutschen eine Raiffeisenkasse, ein Deutsches Warenhaus, eine Vieh-Versicherungsgesellschaft, eine Armen- und Sterbekasse, und ab 1888 eine gut ausgebildete Freiwillige Feuerwehr besessen.

Zusammenfassend kann mit Stolz behauptet werden, daß es vor allem Deutsche waren, die durch ihre Kolonistenarbeit in rund 150 Jahren aus einer “Glodischoara”, d. h. einem Sumpf- und Dreckland, eine Gemeinde schafften, die – mit anderen Gemeinden der Bukowina verglichen, unbestreitbar zu den saubersten, reichsten und schönsten Dörfern unter den deutschen Siedlungen des Landes zählte.

Auszugsweise nach der “Chronik der Bukowiner Landgemeinde Illischestie” von Johann Chr. Dreister.