Eine Reise in die Bukowina vom 20.06.-29.06.1998

von Gertrud Siewi, geb. Rankel (Tiefenbach, Germany)
und Rosina Geisberger, geb. Rankel (Rohr, Germany)

Veröffentlicht mit Genehmigung des Autors, 7. Februar 2004.
Revised: 09/26/13


Wohl vorbereitet machten wir uns auf, die Heimat unserer Eltern zu sehen. Mein Vater Adolf Rankel wurde am 08.07.1907 in Lukawitz bei Solka und meine Mutter Maria, geb. Moroschan in Luisental (jetzt Fundu Moldovei) am 24.04.1909 geboren.

Der Vater von Rosina war Josef Rankel, ein Bruder meines Vaters. Seine erste Frau (übrigens auch eine zufällig geborene Rankel Maria) verstarb und er heiratete Mathilde, geb. Kohlruss Fürstenthal (jetzt Voivodeasa). Sie wurde am 18.08.1919 geboren und lebt heute in Rottenburg a d Laaber. Ich reiste bereits zum dritten Mal nach Rumänien und trotzdem war ich voller Neugier, was uns alles erwartet.

Am 20.06.1998 war es dann endlich so weit, als wir in Landshut um 22.22 Uhr über München nach Budapest und von dort nach Cluj (Klausenburg) mit dem Zug reisten. Es war schon eigentümlich im Zeitalter der hochtechnisierten Welt in eine Region zu fahren, in der vermeintlich die Zeit stehen geblieben ist. Der Zug war alles andere als sanft, es schlossen weder Fenster noch Türen und es ratterte unaufhörlich. An der Grenze Ungarn/Rümänien wurde alles genau durchleuchtet und sogar die Sitzbänke hochgeklappt. Ein Defekt an unserem Waggon zwang uns „umzuziehen“. Hier war es nicht mehr so gemütlich, hatten wir doch vorher ein Abteil für uns alleine. Am Bahnhof Oradea erlebten wir die erste Herzlichkeit, als mein Cousin Neluco mit Frau Tina und seinem Sohn Ovideu, uns kurz begrüßten und sie erzählten, daß wir uns in Cimpulung wieder sehen werden. Nach ca. 5 Minuten „dampften“ wir weiter.

In Cluj wurden wir von meiner Cousine Mariana und deren Mann Mihai mit einem „caruza“ namens DACIA am 21.06. um 16.38 Uhr mit roten Nelken sehr herzlich empfangen. 18 Stunden waren inzwischen vergangen und wir reisten wie gesagt mit dem Auto über Berg und Tal nach Cimpulung. Abendmahlzeit nahmen wir im Hotel Dracula ein, bekannt durch Film und Fernsehen, hier in dieser Burg soll Dracula sein Unwesen getrieben haben. Hoch gelegen mit einem wunderbaren Ausblick in das Borgiegebirge.

Nach jahrelangen Renovierungen entstand ein wunderschönes Hotel mit Restaurant. Das Essen war einwandfrei und wir zahlten für 4 Personen umgerechnet 35 DM.

Um 23.00 Uhr endete unsere Etappe in Cimpulung, unser Ausgangspunkt für die geplanten Unternehmungen.

Gut ausgeschlafen, besichtigten wir am Montag das erste Moldau-Kloster Moldovita (Verkündigungskirche), ca. 38 km nördlich von Cimpulung.

So schrieb Andre Grabar 1962 „Von außen betrachtet, erscheint eine jede Kirche als ein bezauberndes Schmuckstück, das in seiner von Grün und Weiß bestimmten Umgebung bewundert werden muß – das Grün der Wiesen, aus dem die Kirche emporragt und Weiß der Klosterbauten, die einen rechteckigen Rahmen um die Kirche bilden. Gleichzeitig ähneln jedoch diese bemalten Fassaden mit ihren Gestalten und Szenen einem reich illustrierten Buch, dessen Seiten alle aufgeschlagen sind.“

Wir machten Rast in Sadova und genossen den Bachlauf, beobachteten das Alltagsleben im Dorf. Frauen spülen die Wäsche im Bach, Gänse schnattern, Ziegen, Schafe und Kühe weiden gemütlich im Straßengraben. Vorbeifahrende hupende „DACIAS“ bringen sie nicht aus der Ruhe.

Am Dienstag war Marginea und Fürstenthal (jetzt Voivodeasa) sowie das Moldaukloster Sucevita am Programm. In Marginea besuchten wir die Keramikwerkstatt. Hier wird die bekannte schwarze Keramik hergestellt. Dann wollten wir Fürstenthal, die Heimat von Mathilde (Dilli) sehen. Schwierig war es herauszufinden, wie das Dorf heute heißt. Zuerst fuhren wir eine derart holprige Straße in Richtung Horodnic. Nach ca. 3 km war es uns nicht mehr geheuer und befürchteten, der DACIA bricht zusammen. So kehrten wir wieder enttäuscht um und befragten nochmals Bewohner, die auf Bänken vor ihren Häusern den Tag „betrachteten“. Endlich konnte sich jemand erinnern und zeigte uns den Weg nach Voivodeasa. Hier fuhren wir einfach in eine Straße, gesäumt von vielen Häusern, kein Ortschild vorhanden. Es regnete stark. Ein Mann kam des Weges und bestätigte uns in deutscher Sprache, wir sind im ehemaligen Fürstenthal. Er verwies uns gleich auf eine noch besser deutschprechende Frau, die uns Auskunft erteilen kann. Es war Anna Lazaren (geb. Gaschler), sie und Alfred Stadler begleiteten uns zum Friedhof. Sie offenbarten uns, daß nur noch ein deutsches Grab existiert (Name Zettel). Die Friedhöfe in Rumänien werden nicht sonderlich gepflegt. Wahrscheinlich fehlt es wie überall am Geld.

Wir besichtigten die Kirche in Fürstenthal. Das Grundstück, das mit einem Haus der Familie Kohlruß bebaut war haben wir entdeckt. So wie es Dilli beschrieben hat, fanden wir alles vor. Das 2. Haus links neben Kirche war ihre Heimat, rechts verläuft ein Bach, hinter dem Haus geht es bergauf und hier hat sie als Kind (sie hatte noch 11 Geschwister) Beeren aller Art gesammelt. Es war ein deutsches Dorf mit ca. 500 Einwohnern. Derzeit leben noch 4 deutsche Familien in Voivodeasa.

Voller Freude entdeckt zu haben, was niemand mehr für möglich gehalten hätte setzten wir unsere Fahrt zum Kloster Sucevita (Auferstehungskirche) fort. Das Äußere des Bauwerks ist in ein prunkvolles buntes Gewand gehüllt, das vom schattigen Grün des Hintergrundes beherrscht wird, aus der die anderen Farben wie Edelsteine treten, funkelnd und leuchtend.

Auf dem Rückweg merkten wir, daß mit dem Caruza etwas nicht in Ordnung ist. Mihai cool und gelassen öffnete die Motorhaube und stellte fest, daß das Gasseil gerissen war. Von einem Weidezaun holte er sich ein Stück Draht, reparierte das Gasseil und nach 45 Minuten konnten wir die Fahrt wieder fortsetzen. Wie uns in dieser bergigen Landschaft zu Mute war, kann sich jeder ausdenken, ich hoffte nur, daß die Bremsen nicht versagen. Aber Mihai war ein Meister seines Werkes und wir kamen wieder gut nach Hause.

Am Mittwoch, den 24.06. fuhren wir mit einem neuen Gasseil nach Cacica, Solka, Clit, Radautz und Suceava und Guru Humorului.

Cacica ist ein Wahlfahrtsort, das am 15.08. – Maria Himmelfahrt – heute noch ihr Fest feiert.

Hierher pilgerten unsere Eltern jährlich. Auch hier konnten wir eine Person ausfindig machen, die uns die Kirche zeigte. Als wir nach einer Ansichtskarte fragten, hat sie uns Gebetsbilder geschenkt. Tante Dilli war sichtlich gerührt, als sie das Foto dieser Kirche sah, waren doch sehr viele Jugenderinnerungen damit verbunden.

Wir fuhren weiter nach Solka. Meine Mutter arbeitete nachweislich in der Ostbank vom 24.04.1921 – 20.09.1928 und vom 20.09.1929 – 01.09.1930 bei einer Familie Faust. Das Bankgebäude existiert heute noch. Mein Vater war im Jahre 1939 Rekrut in Solka. Dieses Erlebnis nach den Erzählungen meiner Eltern versetzte mich irgendwie in Bann. Wir spazierten durch Solka und hatten das Gefühl einmal schon hier gelebt zu haben. Wir besichtigten die Kirche, die sehr einfach ausgestattet war und am Ende der Stadt eine Ruine, wahrscheinlich ein ehemaliges Kloster.

Leider hatten wir aus Zeitgründen keinen Fremdenführer engagieren können, das wäre sicherlich sehr interessant gewesen.

Wir fuhren weiter nach „Lichtenberg“, jetzt in Clit eingemeindet. Als ich vor sechs Jahren Clit besuchen wollte, hat mir mein Onkel Karl davon abgeraten. Es sei zu gefährlich, leben doch überwiegend „Zigeuner“ in diesem Ort. In Clit ist meine Oma, Rosa Moroschan am 13.07. 1883 geboren und Dolfi am. 08.08.1933.

Bisher waren wir der Meinung, daß auch Lichtenberg Causescus “Reformwütigkeit“ zum Opfer gefallen ist. Elsa, die Schwester von Rosina wurde am 01.06.1930 in Lichtenberg geboren. Ihre Erinnerungen waren für unsere Erkundungen sehr nützlich. Als wir die Straße von Solka voller Spannung nach Clit fuhren, sagte ich schon von weitem, Rosina das ist Lichtenberg, die Straße verläuft bergauf, bergab und oben drohnt die Kirche von Lichtenberg. Es war nicht zu verkennen. Die Straße wird wie überall in Rumänien von Häusern links und rechts gesäumt. Meine Mutter erzählte mir, die deutschen Häuser waren aus Ziegel und die rumänischen aus Holz. Lichtenberg war ein deutsches Dorf. Die alte Kirche als Wahrzeichen der Heimat unserer Eltern steht noch. Der Friedhof am Ende des Dorfes, ab von der Straße, ein unbefahrbarer Weg führt hinauf, zeugt noch von der Vergangenheit. Wir haben die Grabsteine auf den Kopf gestellt, in der Hoffnung einen Rankel zu entdecken. Namen aus der Familie unserer Großmutter haben wir gefunden, wie Winklbauer und Scheinost. Vermutlich wurden die Grabstätten früher mit Holzkreuzen bestückt, die mit den Jahren verrotteten. Eine für uns phänomenale Entdeckung machten wir allerdings mit dem Grab von Emil Vlaschin, dem Ehemann von Roserl Vlaschin (Onkel von Rosina). Er starb 1974 in Clit. Nach einer gemütlichen Rast unter Kirschenbäumen am Friedhof mit Blick auf das Neudörfl, der zweiten Heimat meiner Eltern fuhren wir weiter nach Radautz. Radautz war das Handelszentrum der Rumäniendeutschen. Dort besuchten wir die Markthalle, tranken Kaffee und traten unsere Heimreise über Suceava nach Cimpulung an. Hier wurden wir von Tante Veronika, Onkel Karls Frau und Tina aus Oradea zum Essen eingeladen. Sie haben uns ausgezeichnet bewirtet. Der Tag endete mit einem Folkloreabend im Hotel Zimbru.

Am 25.06. (Donnerstag) stand Fundu Moldovei auf den Programm, der Geburtsort meiner Mutter. Es sind ca. 8 km von Cimpulung entfernt und man ist mitten im Gebirge. Eine wunderschöne Landschaft und der Ort heißt übersetzt „am Ende von Moldovei“. Hier endet tatsächlich das bewohnte Land. Eine Holzkirche zeugt noch aus der Vergangenheit, in der meine Mutter getauft wurde. Sie ist stark renovierungsbedürftig. Wie wir erfahren haben, soll sich ein Spender zum Erhalt der Kirche gefunden haben. Das Grundstück mit der Größe von 2549 qm meines Großvaters und Großonkels ist noch im Grundbuch eingetragen. Eine Rückforderung ist nach Aussage meiner Cousine Mariana aussichtslos, da es wieder, obwohl widerrechtlich, bebaut ist. Als ich oben auf dem Berg des ehemaligen Luisentals stand, habe ich meine Mutter gesehen, wie sie als Kind auf und ab hopste. Aus ihren Erzählungen habe ich das Dorf ganz genau wieder erkannt. Links der Straße wohnten die Deutschen und rechts die Rumäner. Es ist tatsächlich so, links Ziegelhäuser und rechts Holzhäuser.

Im Dorf selbst wurde ein privates Heimatmuseum errichtet. Fundu Moldovei besitzt ein Bergwerk und soll auch heute noch betrieben werden. Der Besuch des Heimatmuseums war sehr aufschlußreich über das Leben unserer Eltern und Vorfahren.

Am Abend wurden wir von meinem Cousin Edi und Frau Maricica festlich bewirtet. Die Gastfreundschaft war ausgezeichnet und wir bekamen einen Einblick in das Leben und die Gewohnheiten der Menschen in Rumänien. Sie sind wahre Lebenskünstler.

Am Freitag fuhren wir noch nach Dorohoi, früher eine ausgesprochene jüdische Stadt. Dort wollte uns Mihai einen traditionellen Markt zeigen und selbst billig einkaufen. Leider war schon vieles ausverkauft. Auf dem Rückweg zeigte er uns sein Heimatdorf Lunca. Es befindet sich an der der Grenze von Moldavien und ist die ärmste Region Rumäniens. Anschließend folgt die Bukowina. Die Felder werden überwiegend noch manuell bestellt. Pferdegespanne, Fußgänger, Tiere aller Arten säumen die Straßen, die Menschen sind rund um die Uhr unterwegs, die Felder zu bewirtschaften und sich zu versorgen. Pilze und Beeren werden an der Straße von Kindern zum Kauf angeboten. Die Leute sind stets gut gelaunt, freundlich, sehr hilfsbereit und auskunftswillig. Wir hatten nie Probleme, trotz der vielen Horrormeldungen in den Medien, die in Deutschland über Rumänien veröffentlicht werden.

Am 28.06.1998 traten wir unsere Heimreise mit Übernachtung in Oradea bei Neluco und Tina wieder an. Tina und Neluco haben uns durch die Altstadt von Oradea geführt. Es war ein erlebnisreicher Abend mit einem schönen Auftenthalt in einem Straßencafe. Wir durften in ihrer Wohnung mit 30 qm übernachten. Bewirtet wurden wir ausgezeichnet, trotz des minimalen Platzangebotes. Für unsere jetzigen Verhältnisse in Deutschland unvorstellbar. Wir waren einfach überwältigt.

Bedanken möchten wir uns für die außerordentlich engagierte Begleitung bei Mariana und Mihai durch die Bukowina, in der unsere Eltern bis 1940 ihre Jugendzeit verbrachten.

Insgesamt gesehen, war es eine erlebnisreiche und informative Reise, und wie schrieb Andre Grabar „wenn die Reisefreudigkeit weiter anhält und die Verkehrsmittel verbessert werden, so werden sich immer mehr Liebhaber von Kunststätten in der Umgebung der alten moldauischen Kirchen ein Stelldichein geben um deren bemalte Außenwände zu bewundern.“