Der Südostdeutsche, 20. November 2002 S. 4
Veröffentlicht mit Genehmigung 24. Januar 2003
Genealogie oder die Erforschung der Vorfahren (in aller Regel der eigenen) ist eine Krankheit, die erfahrungsgemäß die Menschen vornehmlich ab dem Eintritt in die zweite Lebenshälfte befällt. Die Heilungsaussichten sind denkbar schlecht, d. h. einmal richtig infiziert leidet man immer darunter. Die direkte Ansteckungsgefahr ist glücklicherweise nicht sehr groß, zumeist sind äußere Anlässe Auslöser, so zum Beispiel der Tod des letzten Mitglieds aus der Generation der Großeltern.
In meinem Fall war es die einfache Tatsache, dass ich vor etwa 7 Jahren auf ein Computerprogramm zum Erstellen von Familienstammbäumen aufmerksam wurde. Nicht ahnend auf was ich mich einließ, habe ich zunächst alle Daten eingegeben, die ich im Kopf bzw. direkt zur Hand hatte. Auch der nächste Schritt war noch harmlos: das Abfragen von weiteren Informationen von Eltern, Schwiegereltern, Onkeln und Tanten etc. Gefährlicher wurde es schon als ich mir dann einschlägige Literatur besorgte, die ich allerdings nur flüchtig überblätterte.
Immerhin entnahm ich dieser, dass mein nächster Weg mich ins Standesamt zu führen hatte. Als Objekt wählte ich die Familie meines Schwiegervaters, die, soweit bekannt, immer in der Umgebung von Waiblingen bei Stuttgart gelebt hatte – was sich dann bei eingehender Nachforschung auch als richtig herausstellte. Da mein Vater aus der Bukowina stammt, einem Gebiet das im heutigen Rumänien liegt, wagte ich anfangs nicht einmal zu hoffen, dass ich jemals an irgendwelche Daten für meine väterliche Linie herankommen würde.
Im Standesamt bekam ich – für mich erstaunlicherweise – ohne jegliche Formalitäten sofort alle gewünschten Auskünfte soweit sie verfügbar waren. Darüber hinaus wurde ich an das örtliche Kirchenarchiv verwiesen, das mich aber umgehend an das landesbischöfliche Zentralarchiv in Stuttgart verwiesen hat. Spätestens als ich dort einen ganzen Tag in einem engen dunklen Raum, dicht gedrängt mit anderen infizierten Personen, vor einem Mikrofilmlesegerät verbrachte und statt eines Mittagessens nur einen Schluck Wasser zu mir nahm war offensichtlich, dass ich von nun an zu der Gruppe der hoffnungslosen Fälle gehörte. Motivierend war dabei sicherlich, dass ich die Ahnenreihe meines Schwiegervaters nahezu auf Anhieb vollständig bis 1768 zurückführen konnte.
Dadurch ermutigt machte ich mich nun doch auf die Suche nach meinen direkten Vorfahren. Über das Haus der Heimat in Stuttgart erhielt ich Kontakt zu der zwischenzeitlich verstorbenen Irma Bornemann und über diese letztendlich zu der Zentralstelle für Genealogie im ehemaligen Herzogtum Bukowina in Riegelsberg bei Saarbrücken, dessen Leiter Claudius von Teutul selbst aus der Bukowina stammt und mit großem Aufwand über 40.000 Namen in seiner Datenbank erfasst hat. Von ihm erhielt ich meine komplette Ahnenlinie väterlicherseits bis zurück zu dem 1770 in Böhmen geborenen Johann Augustin. Dieser ist – so belegen es mehrere Quellen – 1803 mit seiner Frau Anna Maria und seinen drei Söhnen Mathias, Josef und Laurenz mit einer Gruppe von weiteren Holzfällerfamilien aus dem Böhmerwald in die Bukowina ausgewandert und zwar in die neu gegründete Glashüttensiedlung Fürstenthal. Da kein weiterer Träger dieses Namens in die Bukowina auswanderte, ist Johann Augustin der Stammvater aller Augustins, die aus diesem ehemaligen südöstlichsten Kronland der österreichisch-ungarischen Monarchie stammen. Eigentlich hätte ich mich mit diesem Ergebnis zufrieden geben können, aber die Infizierung war, wie bereits gesagt, schon zu weit fortgeschritten.
Etwa zu dieser Zeit begann ich auch, mich in die Geschichte dieser Zeit sowie in die Lebensumstände dieser Menschen einzuarbeiten. Dabei wurden schon bald die zahlreichen Verflechtungen der Bukowina mit dem Böhmerwald offenkundig. Neben Büchern war und ist hier das Internet eine hervorragende Quelle und Kontaktmöglichkeit. Durch dieses wurde ich auch auf die Bukovina Society of the Americas in Ellis im Staate Kansas aufmerksam. Über die Kontaktliste der Bukovina Society im Internet ( https://www.bukovinasociety.org/contact-list.html ) kam ich mit meinen (wenn auch entfernten) amerikanischen Verwandten in Kontakt – speziell mit denjenigen, die sich ebenfalls für ihre Vorfahren interessieren. Viele dieser Kontakte haben sich – insbesondere nach einem Besuch in Ellis vor 2 Jahren – zu echten Freundschaften entwickelt. Es war sicher ein glücklicher Umstand für meine Forschungsarbeit, dass ich zu dieser Zeit bereits mehrfach geschäftlich in Kansas City gewesen war und in der Folgezeit noch viele Reisen dorthin unternommen habe.
Die oben genannte Internetseite wurde (und wird) in der Zwischenzeit übrigens erheblich ausgebaut und ist meiner Ansicht nach eine der besten Informationsquellen für die Bukowina und die aus ihr stammenden Familien. Eine wachsende Zahl an Seiten steht inzwischen auch auf Deutsch zur Verfügung und weitere Beiträge sind jederzeit willkommen.
Viel verdanke ich hier meinem Cousin 5. Grades und guten Freund Werner Zoglauer, einem ebenfalls begeisterten Familienforscher aus Naperville bei Chicago, dessen Familie aus Radautz stammt. Aus seiner umfangreichen Datenbank konnte ich viele Informationen direkt übernehmen. Ferner besitzt er von vielen für unsere Familien wichtigen Gemeinden Kopien der Kirchenbücher, die er mir selbstlos zur Verfügung gestellt hat und die die wichtigste Grundlage meiner eigenen Datenbank bilden, welche zwischenzeitlich über 15.000 Personen umfasst, von welchen wiederum über 3.300 direkte Nachfahren von Johann Augustin sind. So groß diese Zahl vielleicht auch scheinen mag, durch eine einfache Abschätzung kommt man zu dem Schluss, dass es nicht einmal die Hälfte der Nachfahren sind, die es wahrscheinlich tatsächlich gibt. So bleibt es weiterhin mein Ziel, möglichst viele weitere Mitglieder unserer Familie in aller Welt zu finden. Neben weiteren Meldungen aus Deutschland habe ich inzwischen Kontakt zu Familienmitgliedern in Kanada (ca. 600 erfasste Nachkommen) und den Vereinigten Staaten (ca. 1.100 erfasste Nachkommen). Viele der Daten über die Auswanderer habe ich von Juanita Augustine, der Frau meines Cousins 4. Grades Frank Augustine aus Ellis in Kansas erhalten. Sie ist Gemeindesekretärin in der Katholischen Kirche dort und hat damit Zugang zu vielen Unterlagen und außerdem einen engen Kontakt zu Mavis Armstrong aus Regina in Kanada, welche wiederum den kanadischen Zweig unserer Familie dokumentiert hat.
Auf der Suche nach der ursprünglichen Heimat meiner Vorfahren im Böhmerwald lernte ich unter anderem schließlich auch Günter Burkon aus Neuesting bei München kennen.
Herr Burkon, von Beruf Lehrer, ist unter anderem der offizielle Regionalbetreuer der VSFF (Vereinigung sudetendeutscher Familienforscher) für den Böhmerwald und hat für dieses Gebiet zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte und Ahnenforschung herausgegeben. Da er auch den Namen Augustin in seiner Ahnentafel hat, erhielt ich von ihm neben wertvollen Hinweisen über die Herkunft und Verbreitung der Augustins im Böhmerwald auch Kopien von sämtlichen Informationen, die er zum Namen Augustin hat, insgesamt an die hundert Karteikarten mit ungefähr 500 Einzelnamen, 400 davon mit einer nachweisbaren verwandtschaftlichen Beziehung zueinander. Danach sind unsere Vorfahren nach dem Dreißigjährigen Krieg aus dem Lamer Winkel im Bayrischen in den Böhmerwald ausgewandert und zwar in die Gegend um das Städtchen Neuern (heute Nyrsko) unmittelbar an der heutigen Grenze zwischen Deutschland und Tschechien. Dort – und nur dort – findet sich im 17. und 18. Jahrhundert der Name Augustin sowie viele andere Namen der Auswanderer in die Bukowina, so dass für mich kein Zweifel daran besteht, dass Johann und seine Familie ebenfalls aus dieser Gegend stammen. Hierfür den eindeutigen Nachweis zu erbringen und damit eine Verknüpfung herzustellen zwischen allen aus der Bukowina abstammenden Augustins einerseits und allen Augustins mit Vorfahren aus dem Böhmerwald andererseits bleibt ein weiteres großes Ziel für die Zukunft.