von Jakob Welisch
Herausgegeben von dem Journal of the American Historical Society of Germans From Russia,
Vol. 12, No. 2 – Summer 1989, pp. 29 – 39
Veröffentlicht mit Genehmigung dem AHSGR und dem Autor 8. Juli, 2004
Bukowina! Das Buchenland, ein Teil der Karpaten in Südosteuropa! Hier haben sich damals, im Österreichischen Kaiserreich um 17.-18. Jahrhundert, die Wöllisch oder Welisch aus Böhmen angesiedelt. Nach Erzählung, war das Buchenland zu dieser Zeit ein Urwaldgebiet. Unwegsame Wälder und Flüße waren vorhanden, aber an Bodenschätze reich. Darum bewegte das Kaiserreich, Menschen aus dem Böhmerwald dieses Gebiet durch eine Halbschenkung zu besiedeln. Zu dieser Zeit sollte große Arbeitslosigkeit in Böhmen gewesen sein.
Vor und auch nach dieser Zeit ist ein Zustrom von Siedlern und Einwanderern aus vielen Nationen geschehen. Bukowina wurde ein Vielvölkerland. Man kann sie gar nicht alle so leicht aufzählen. Kaufleute aus Rumänien, Osterreich und anderen Ländern haben den Handel der Güter gut vorangetrieben.
So eine Siedlung von österreichischem Kaiserreich, war auch das zur Zeit noch nicht bestehende Dorf “Bori.” Deutschböhmische Waldbauern haben dieses Bori erbaut. Mein Urgroßvater Sebastian Wöllisch oder Wellisch/Welisch, aus Seewiesen im Böhmerwald, sollte damals dabei gewesen sein. Das in meinem Bericht ich “Welisch” verschieden schreibe, ist durch Namensforschung aus heutiger Generation entstanden. Nach Unterlagen sollte mein Urgroßvater Sebastian sich Wöllisch geschrieben haben. Wie und wann sich dieser Namen laut meinen Taufschein, geändert hat, ist bis heute unerforscht.
Mein Großvater Johann Welisch, ein Sohn des Sebastian, ist in Gurahumora, Bukowina geboren, ein größerer Ort ein kilometer von Bori entfernt. Es kann nicht geschrieben werden, ob Johann in Bori oder in Gurahumora geboren worden ist. Aber das Pfarramt war mit sicherheit Gurahumora.
Mein Vater, Peter Welisch, erzählte das mein Großvater Johann in seinem Leben große Fortschritte hatte. Er vergrößerte seine Landwirtschaft, hatte mit seiner Gattin Katharina elf Kinder und war sogar Jäger mit Jagdgebiet. In Gurahumora sollte er in der Gemeinde Geschworener gewesen sein und als Zimmerermeister sein Handwerk ausgeübt haben.
Vor seinem Tode teilte mein Großvater Johann sein Vermögen, die ganze Landwirtschaft, an seine Kindern zu gleichen Teilen auf. Mein Vater Peter erhielt am Ortsrande von Gurahumora durch ein Los, dies sein Vater in einem Tofl gab, seinen Teil. Mit viel Arbeit und Fleiß konnten sich Großvaters Kinder ein Haus auf ihrem Teil bauen oder sie verpachteten es an die Geschwister. Es waren Holzhäuser die innen wie außen mit Kalkmörtel verputzt waren. Es ist an dieser Stelle zu erwähnen das diese Häuser in den strengen Wintern, die es gab, sehr warm waren.
Mein Vater fand eine Ehegefährten aus Bori, die Maria Welisch, laut Unterlagen, weitläufig verwandt. Wie sollte es damals anders gewesen sein? Es war für die Deutschböhmen nicht einfach. Warum jetzt auf einmal Deutschböhmen? Diese Leute sprachen ein Deutsch aus dem Böhmerwald.
Am 25. Juli 1931, also am Namen Jakobi, kam ich zur Welt. Meine Eltern, Peter und Maria Welisch, tauften mich Jakob, weil laut Hebamme ich mir meinen Namen in die Welt brachte. An meine Kindheit vor Schulbeginn kann ich mich kaum erinnern. Aber von Schulbeginn an habe ich noch gute Erinnerung, besonders wenn man darüber nachdenkt.
In Rumänien damals begann mit dem siebenten Lebensjahr die Schulpflicht. Ich hatte einen weiten Schulweg, ca. zwei Kilometer zum laufen, weil ich durch ganz Gurahumora mußte. Eine gute Erinnerung wird in mir wach: keine Schultaschen wie heute. Mutter nähte mit etwas Leinen, eine Umhangtasche für die wenigen Schulhefte die ich brauchte.
In der ersten Zeit war für mich das Schulgehen eine schwierige Sache, nicht wegen das Lernen, sondern unterwegs das Austreten. Mein Weg ist laufend von Geschäften, Kirchen, und Cafes, bestückt gewesen. Gurahumora war für mich, wenn ich heute so nachdenke, eine kleine Stadt.
Ja, ich besuchte eine deutschsprachige Schule, obwohl ich rumänischer Staatsbürger war. Ich konnte gar nicht rumänisch, weil wir daheim deutschböhmisch sprachen. Aber in der Schule wurden wir auf rumänische Art benotet. Die beste Note war die 10 und die schlechtest die 5. Zwei Jahre besuchte ich die Schule in Gurahumora, dann kam die Umsiedlung, aber darüber später in meinem Bericht.
Ja, was habe ich in meiner Kindheit erlebt und woran kann ich mich noch erinnern? Ich habe viele Erinnerungen, einige möchte ich erzählen. Mein Elternhaus stand neben einen größeren Mühlbach, einige 100 Meter links und rechts Sägewerke, eines davon eine kleine Fabrik. Von dort ging die Schnittware von Holz per Bahn weiter. Mein Vater Peter war oft unterwegs mit Pferd und Wagen und verdiente sich zur Landwirtschaft was dazu. Auch als Zimmerer war er viel unterwegs weil wir hatten ja nur drei Hectar und Wiese.
Und ich spielte, wie alle Kinder es damals getan haben, im Sommer viel mit den Wasser das vor uns vorbei floss. Besonders haben wir Kinder gern gefischt. Hier gibt es gute Erinnerungen: ins Wasser gehen (bis etwa Knietiefe, war das Wasser glasklar und am Grund des Flusses, Steine), ganz stillstehen und warten bis neugierige Forellen kamen. Man brauchte nicht lange warten, Fische gab es in Unmengen. Diese Forellen beobachteten erst unsere Beine im Wasser, dann schlüpften sie unter einem Stein und blieben ruhig. Durch einem schnellen Griff mit beiden Händen konnten wir sie fangen.
Es war ein aufregendes Ereignis wer mehr Fische auf diese Art fangen konnte. Ich hatte in diesem Fall mehr Glück als mit der Angel in tiefen Wasser. Ob es damals Fischerkarten wie heute es gab, glaube ich nicht, sonst hätten wir es nicht tun dürfen.
Weitere Erinnerungen im Sommer waren die Sommerfrischler, also Urlauber. Nach Gurahumora kamen viele solche wohlhabende Menschen die gutes Geld für Miete bezahlten. Wir lagen für diese Ansprüche sehr günstig und so passierte es öfter, das Vater das ganze Haus vermietete. Wir hielten uns nur einen kleinen Raum zum kochen übrig. Übernachtet haben wir im Heu in der Scheune. Diese Art von Übernachtungen wollte ich gar nicht gerne.
Nächste Erinnerung: von uns gar nicht weit floss der für Bukowina berühmte Fluss, “Moldau” vorbei, ein gefährlicher Fluss bei Hochwasser, wenn die Schneeschmelze vom Gebirge kam. Hier hatte Gurahumora im Sommer täglich an einem schönen Platz, der fest angelegt war, Musik bis in die späte Nacht herein. Wir hörten und sahen diese Feste täglich, weil wir nur einige hundert Meter entfernt wohnten, aber sie waren für uns bereits schon uninteressant. Heute würde man “Sommernachtsfeste” dazu sagen.
Nun von schönen Sommer zum Winter in Buchenland wie ich im erlebt, und in Erinnerung habe: also kalt und viel Schnee. Das besondere von damals gegenüber von heute, kein Salz auf den Straßen. Die Weihnachtszeit war immer was besonderes, wenn zu mir das Christkind selbst mit Engeln kam. Heute weiß ich, das es Titus Hellinger seine Schwestern waren, weil sie Nachbarn von uns waren. Aber es war wunderbar, mit großem Herzklopfen, wenn das Christkind als Engel mit Begleitung, vor dem Lebkuchenschristbaum stand.
Ich möchte hier weit vorgreifen, meine Tante Frieda Welisch, eine Bori Geborene, tut dies heute in Bayern noch, den Christbaum so wie damals schmücken. Das ist für alle was ganz besonderes und was Erinnerung erweckt. Dann die Besuche in den Weihnachtstagen, bis zu heiligen drei Könige. Alles mit Pferd und Schlitten, das Pferd im Geschirr mit feinen läutenden Glocken und am Schlitten Laternen. Heute würde so mancher viel für so ein Erlebnis geben, das es damals fast täglich gab.
Ich kann mich an diese Schlittenfahrten mit meinen Eltern zu den Verwandten auch bis nach Bori sehr gut erinnern. Mutter hatte vor so einer Fahrt, Ziegelsteine am Ofen vorgewärmt, dann kamen diese im Schlitten und es war angenehm warm. Während so einer Fahrt im dunkeln sah man vom Pferd den Atem als Dampf über die Laternen vorbeiziehen. Am Ziel angekommen kam das Pferd in den Stall und die Ziegelsteine, die noch warm waren, wieder auf dem Ofen, für die Heimfahrt. Während der Heimfahrt habe ich meistens eingeschlafen, übermüdet vom spielen mit Kindern.
Bei solche Winterfahrten mit Pferd und Schlitten kann ich mich heute an was besonderes erinnern, als mal während der Weihnachtszeit wir zum Taufpaten fuhren, das Pferd am Schlitten vorgespannt sehr unruhig wurde. Vater versuchte es zu beruhigen, aber er merkte gleich, das unser Pferd Angst hatte. Er sagte zur Mutter es müßen Wölfe in unserer Nähe sein. Hier wird nach Erzählung nichts übertrieben. Wölfe im Winter in der Bukowina waren manchmal für Menschen gefährlich. Diese die sich in Rudel zu 10-15 Stück versammeln, greifen alles an was ihnen liegt, weil diese der Hunger dazu treibt. Vater hatte auch daheim bei sehr kaltem Winterwetter unserem Hofhund in die Scheune gesperrt. Als Kind habe ich so hinterherum erfahren, das die Wölfe in Winter sehr nahe an Siedlungen herankamen. Einmal zeigte mir mein Vater abends aus dem Fenster unserer Küche die funkelnden Augen über das Mondesscheinlicht, von einem Wolfsrudel. Sonst habe ich keine gesehen.
Ja, es wäre für mich kein gutes Zeugnis, wenn solche Berichte von Erlebnissen von mir und Sagen von den nächsten Angehörigen, nur eine Angabe wäre. Nein, es war in dieser Gegend, in der Bukowina, auch sehr schön und für die damalige Zeit fast genau so wie wo anders. Ein halbes Jahrhundert ist inzwischen vergangen und heute wohne ich in Bayern. Meine Erzählungen an Urbayern werden positiv angenommen und es sollte damals woanders nicht viel besser gewesen sein.
Ein junger Mensch von der heutigen Generation kann sich kaum von so manchen Ereignisse von damals was vorstellen. Es ist auch gut daß junge Menschen heute nicht so manches erleben mußten, nur diese Jugend von dieser Generation leben durch die Technik und Motorisierung noch viel gefährlicher als damals. Nun das war eine Erzählung von mir wie ich meine Kindheit in meiner Geburtsheimat erlebt habe. Damals wußte ich noch nicht was auf mich noch so manches zukommen sollte.
Die Umsiedlung nach Deutschland? Nun wie soll ich hier berichten? Ich weiß es so ungefähr durch Lesen und Erzählen. Will nicht viel über den Grund dafür sagen. Viele wissen es noch, daß es eine politische Sache war. Das dritte deutsche Reich, hatte mit Russland etwas beschlossen und Rumänien unter Druck gesetzt.
Eines wundert mich heute noch, was deutschstämmige dazu bewegte, alles zu verlassen und nach Deutschland zu gehen. Es gab damals nicht nur arme deutsche in Rumänien, sondern auch sehr reiche. Bis auf wenige sind alle nach Deutschland umgesiedelt. Und das genau an Anfang eines Weltkrieges!
Ja, ich kürze hier etwas meinen Bericht, weil man könnte über dieses Thema selbst einen Roman erzählen. Für mich und meinen Eltern war es der 12. Dezember 1940 als wir unsere Heimat verlassen haben. Das Hauptgepäck war schon vor Tagen oder Wochen auf unserem Bahnhof verladen. Es war ein rauer kalter Dezembertag und noch dazu vor Weihnachten wo alles mal so schön und gemütlich war. Ich merkte selbst als kind das meine Eltern weinten. Am Vorabend war es so weit, bis 19 Uhr mußten alle die für diesen Transport bestimmt waren am Bahnhof eingetroffen sein.
Es war für mich schauderhaft wie man die Menschen ankommen sah. Die meisten weinten und ich frage mich heute, es sollte geheissen haben daß die Volksdeutschen freiwillig ins deutsche Reich fahren. Deutsche Soldaten und Offiziere haben dies alles organisiert. Ich kann mich an diesem Abend, so erinnern als wenn es erst gestern gewesen wäre. Ich muß auch hier kürzen und diesen Abend vergessen. Nur eines will ich hier niederschreiben: das vor and während der Abfahrt des sehr langem Zuges, der mit zwei Lokomotiven vorgespannt war, von vielen das Lied, “Nun ade, mein lieb` Heimatland” erklang. Ein sehr langes Pfeifsignal der beiden Lokomotiven, die den Zug in Bewegung brachten, und das Licht vom Bahnhof Gurahumora so langsam verschwand, war der Abschied aus meiner Heimat wo ich geboren wurde. Im vollendeten 9. Lebensjahr konnte man damals auch schon Gefühle spüren und wusste gar nicht was geschehen war.
Drei Tage und Nächte waren wir im Zug und unterwegs. Von Rotkreuz Schwestern aus Deutschland wurden wir gut betreut. An den Ungarnbahnhof Budapest und dem Wiener Bahnhof kann ich mich erinnern. In Budapest (Ungarn) haben wir den Zug verlassen und in einem großen Bahnhofsaal zu Mittag gegessen. Wir sind von den deutschen Helfern sehr freundlich bedient geworden. In Wien (Österreich) gab es Kaffe und Tee und einige durften aussteigen, um sich die steifen Füße etwas zu entspannen. Stunden später wussten alle die in diesem Umsiedlerzug waren, wo und was sie erwartete.
Lagerleben war es: 20 Personen in einem Raum, ohne Rücksicht ob es ein Arzt oder Handwerker war. Hier kam wieder die Bitterkeit von vielen was sie getan haben, weil Weihnachten 1940 bevorstand. Daheim zur Zeit der Ofen kalt und hier in Oberstockbetten schlafen! In der Steiermark war es, bei Leoben. Ein Barackenlager, wie wir es alle nicht kannten. Dazu kam noch eine 14-tägige Ausgangssperre; niemand durfte das Lager verlassen. Jetzt wußten alle was geschehen war: zuerst den Himmel versprochen und jetzt in den Händen einer gewaltigen Diktatur. Nach ca. einem viertel Jahr mußten die Jungen für ihr neues Vaterland in den Krieg ziehen. Diese sind vorzeitig eingebürgert worden, also deutsche Staatsbürger. Im Sommer 1941 bin ich mit meinen Eltern auch Deutscher geworden, eine Prozedur in einem langen Zug und die Blutgruppe unter den Oberarm tätowiert. Für viele Männer war diese Tätowierung nach dem Krieg eine böse Erscheinung wegen einer vormuteten elite Einheit des deutschem Reiches.
Meine Schulpflicht in der Steiermark ging auf normalen Wegen, nur alles wiederholen, damit man das nicht vergisst was man schon gelernt hatte. Es war aber so eine Art Lagerschule. Mit Einheimischen kamen wir in der Schule nicht zusammen.
Weiter in meinem Schreiben: Vater wurde auch zur deutschen Wehrmacht eingezogen, nach Jugoslawien, aber auffallend war es, er und andere kamen nach 14 Tagen wieder zurück und wurde auf Wartezeit für ein Landwirt bestimmt. Im Herbst 1941 wurden diese vorgesehenen Landwirten, also auch wir, nach Oberschlesien transportiert. Ratibor hiess diese Stadt, am Rande ein Sportheim und hier kamen wir und andere unter. Auch ein Lager aber wesentlich besser; vieles konnten wir selber bestimmen. Der Lagerführer hatte diese Menschen in seinem Lager alles auf ihre Art machen lassen, aber natürlich alles beobachtet. Sein Lohn war er hatte nicht viel Arbeit und war von den Insassen hoch geschätzt.
In Ratibor, Oberschlesien war die Schulzeit für die Zugereisten eine Qual. Wir gingen in eine allgemeine Schule wo auch die Ratiborer gegangen waren. Fast jeder hatte täglich Prügel bekommen. Nämlich im Lernen waren wir alle schlecht. Verständlich nur mit Wiederholen kamen wir nicht weiter. Einmal erging es mir sehr schlecht. Ich wußte was heute auf mich in der Schule zukommen wird. Aber Angst und Not macht erfinderisch: habe mir ein Schulheft unter dem Hosenboden gelegt. Der Lehrer der uns Zugereisten gar nicht mochte, merkte es bei dem ersten Rohrstockhieb. Was dann passierte will ich hier gar nicht erzählen.
Ja, was soll ich noch von Oberschlesien, das heute Polen ist, erzählen? Der Winter 1941-42, wo viele deutsche Soldaten in Russland erfroren, war ein sehr strenger. So langsam kamen auch Nachrichten das junge Buchenländer im Krieg gefallen waren und auch bestimmte Nachrichten von denen die Deutschland nicht mehr mochten, weil es zu viel versprach. Hier in meinem letzten Satz waren auch Buchenländer dabei die ich kannte. Bitte wieder eine Kürzung um zu vergessen.
Im Frühjahr 1942 kam eine für meinen Vater und seiner Familie besondere Zeit. Auf Verlangen der deutschen Treuhandgesellschaft mußte Vater und andere in die Tschechei (damals “Protektorat Böhmen und Mähren”) fahren und landwirtschaftliche Betriebe besichtigen. Diese sollten sie in kürzester Zeit als Verwalter bewirtschaften. Ich weiß es nicht genau, in der Kirschenzeit war es, Mai oder Juni 1942 kamen wir über der Hauptstadt Prag nach Jungbunzlau 50 Kilometer nördlich von Prag an. Für mich ein Schlaraffenland: links und rechts von der Straße, während der Fahrt zum Dorf wo wir hingefahren sind alles voll mit Kirschbäumen, voll mit reifen Kirschen. Für mich unvorstellbar!
Kaum angekommen, merkten wir was hier vor paar Tagen geschah. Die Besitzer wurden ausgehoben, weil diese nicht deutsch gesinnt waren. In den Betrieb von 20 Hektar wo wir hinkamen, mußte sogar noch die Besitzerin in unserer Anwesenheit, den Fussboden schruppen. Ein Schauer überlief meine Eltern, die nichts dagegen tun durften. Ja, so war es. Die Menschen würden sich gut verstehen, nur wenn’s politisch hergeht können friedliche Menschen kaum was dagegen tun, sei dem sie riskieren ihr eigenes Leben.
Nicht ganz drei Jahre waren wir dort. Vater ging seine Pflichten nach und ich mußte auf verlangen eine Aufnahmeprüfung zur damals genannten Hauptschule machen. Heute würde ich diese Schulzeit in die Realschule einstufen. Die Sache habe ich bestanden und in dieser Zeit sehr viel miterlebt.
Hitlerjunge bin ich geworden. Sonntag wenn meine Eltern in die Kirche gingen, hatte ich Dienst im deutschen Jungvolk. Keine Entschuldigung, sei dem man war krank. Vom Kriegspiel bis zum Überleben in unmöglichen Ereignissen: heute würde man sagen “Camping in höchster Not.” Zwölf Jahre war ich damals und bin auf Herz und Niere schon geprüft worden. Keiner wüsste das Ergebnis, und wenn einer von uns mal faul geworden ist, der ist von selbst wieder lebendig geworden.
Nun ich könnte noch viele einzelne Erlebnisse über diese vorgenannte Zeit erzählen, aber will selbst es gerne vergessen. Wenn man heute solche Erlebnisse erzählt, wird man belächelt, aber garantiert für die Jugend unvorstellbar. Man ist auch nicht darüber verärgert, weil die junge Generation sich so was gar nicht vorstellen kann.
Es war Anfang April 1945 über Hals und Kopf kam der Befehl, so schnell wie möglich Wägen mit einem Dach versehen, Pferde beschlagen, heißt neue Hufeisen aufbringen, und das nötigste für vier Wochen zu beladen. Die Tschechen lächelten und sahen zu, durften aber öffentlich sich nichts anmerken lassen, weil in dieser Zeit durch Unachtsamkeit viele ihr Leben lassen mußten. Der Tag wie wir wieder wandern mußten war gekommen. Vormittags ging es los. Von unserem Dorf wo wir waren, waren drei Buchenländer Familien dabei: Tante Reti Hellinger mit ihrem Mann und meiner Großmutter Katharina die bettlägerig war; Seidl Felix, ein Borianer; und Peter Welisch, mein Vater, alle mit Familie. Losgefahren zur Sammelstelle und die Tschechen haben uns am Straßenrand zugesehen und kein Wort gesagt.
Hier in diesem Abschnitt in meinem Schreiben könnte ich so viel Erzählen über was und jenes mitgenommen wurde, trotz der großen Enttäuschung und warum wir Buchenländer wieder keine Ruhe haben. In der Sammelstelle waren ca. 70 Wagen angekommen, alle mit einem Zigeunerdach versehen. Der Fluchtweg war quer durch die Tschechei in Richtung Böhmerwald, weil hier die allernächste Westfront von Deutschland war und niemand der Ostfront in die Hände fallen wollte. Ein langer Trek, wie man diesen Flüchtlingszug bannte, bewegte sich gegen den Süden. Neben Prag, der Hauptstadt von Böhmen und Mähren, vorbei, und gleich in den nächsten Tagen, nur in der Dunkelheit der Nacht gefahren.
Es wären tagsüber feindliche Flugzeuge am Himmel und hatten so manche Trecks beschossen, die sie aus der Luft sahen. Ich glaube heute, daß diese, Flüchtlinge und Militär nicht auseinander kannten. Durch Stau und Pausen kam unser Zug nur langsam voran. 25-30 km. waren es nur in einer Nacht; dazu kam noch daß alle tagsüber in den Wäldern standen um aus der Luft nicht gesehen zu werden. Auch deswegen konnten sie nicht die ganze Nacht ausnützen, um vor Tagesanbruch den nächsten Wald zu erreichen.
Es waren Elendszeiten: nur das nötigste gegessen um zu sparen, weil wir ja aus einem fremden Land flüchteten. Von den Tschechen bekamen wir damals nichts. Wasser war für alle ein großes Problem, für Mensch und Tier. Im Wald suchte man Quellen und Bäche. Die Menschen haben das Wasser nur gekocht verwendet und haben es mit einem mitgenommenes Blech, des über zwei Baumstumpfen gelegt wurde, von ‘Unten dann erhitzt.
Eines will ich hier niederschreiben, wie man Kleinkinder weinen hörte, und alte Leute jämmerten und schimpften. Wie schon erwähnt, es war im April 1945 und noch ziemlich kalt. In unserem Wagen waren wir sieben Personen. Warum? Meine Tante Emilie (Mutterseit) kam mit meiner Großmutter Rosalia und Kindern bereits im Winter 1944-45 aus Oberschlesien als F1üchtling zu uns. Jetzt mußten sie wieder das gleiche mitmachen dies sie schon einmal erlebt haben.
Warum ich in diesen Seiten etwas ausführlicher schreibe, ist weil ich sehr gute Erinnerung an diese Zeit habe und es gar nicht vergessen kann. An einem Morgen erreichten wir kein Waldgebiet mehr. In einem Dorf mußten wir uns alle ein Unterschlupf suchen, welche, am Rande der Durchgangsstraße, andere auf Seitenwegen. Kaum die Pferde gefüttert, -erschien am Himmel ein einziges Flugzeug. Alle hofften, das es nichts bemerkt hätte.
Aber kaum eine halbe Stunde später war es geschehen. Vier Jagdflugzeuge der Amerikaner tauchten auf, drehten eine Runde über das Dorf und dann ging ein Feuerzauber über uns hinweg. Den ganzen Tag liessen uns die Angriffe nicht in Ruhe. Vier Angriffswellen waren es, einige dauerten eine Ewigkeit. Man konnte dagegen nichts tun. Ins freie Land rausfahren, wären wir die beste Zielscheibe gewesen. Bei so einem Angriff flog das Kirchendach von dem Dorf über mich hinweg, weil wir neben der Kirche Schutz suchten. Vater wurde sogar, weil er bei den Pferden war, von einer Bordkugel gestreift.
Was hier in diesem Dorf–“Milin” hatte es geheissen–mitten in der Tschechoslowakei geschehen war, können nur Soldaten und Ausgebomte von Städten beschreiben. Am Abend als die Dunkelheit hinein brach ist es still geworden. Scheunen brannten, tote Tiere lagen auf der Straße, Flüchtlingswägen waren verbrannt, nur das Eisen der Wägen war noch zu sehen, und die verglühte Wäsche die einmal in den Koffern war. Ob damals Menschen auch zugrunde gingen, konnte ich als Kind mit 13 Jahren nicht erfahren. Eines habe ich gesehen, daß von 70 ca. nur 15-20 Flüchtlingswägen den Ort am Abend in der Dunkelheit verlassen haben. Die Pferde waren sehr scheu, vorn Rauch und ihrem toten Artsgenossen.
In einem Wald stand dann ein kleiner Haufen von Flüchtlingen, der sich zwei Tage nicht mehr raus traute. Es mußten auch Reparaturen die der Angriff angestellt hatte, gemacht werden. In unserem Wagen war das Dach durchlöchert und Vater sagte im Wagen würden noch viele Bordkugeln sich befinden. Viel später hätte Vater recht, im Bettzeug und anderen Sachen, waren die Kugeln noch zu finden. Sie waren länger als ein Finger und doppelt so dick. Ich fütterte unsere beiden Pferde während diesem Aufenthalt, mit jungen Tannenriesig. Sie haben es auch gefressen. Vater hatte Sorgen wegen des Vorrates.
Wie es von dort weiter ging, weiß ich nicht mehr. Aber über das Kriegsende kann ich wieder berichten. Wo sollten wir gewesen sein? In einem Wald neben einer -Straße, gerade Frühstück eingenommen und in ein Bach der vorbeifloß gewaschen. Der 8. Mai 1945 war es. Autos fuhren vorbei, mit roten Fahnen und jubelten Menschen. Die Älteren von uns ahnten schon böses. Einige kamen nachher in den Wald herein und sagten auf gebrochenes deutsch, “fahrt heim, der Krieg ist zu Ende. Deutschland gibt es nicht mehr.”
Alle von uns die damals in den Wald waren sind Buchenländer gewesen und schauten ratlos umher. Ich glaube es so, daß sie selbst ihre Heimat nicht mehr wussten, weil sie diese damals 1940 dem deutschen Staat überlassen haben. Gleich darauf wurde alles was nach Hitler aussah in den Bach geworfen und kurz entschlossen weitergefahren, in Richtung Böhmerwald. Hier kann ich anfangs nur von strengen Kontrollen der Tschechen berichten die manchmal gedroht haben, das wir tschechisches Material hätten. Sie hatten auch recht, die Pferde und der Wagen waren ja von da.
Von den früherem Sudetenland, so muß ich heute berichten, kam wieder was böses auf uns wirklich armen zu. Kurz von Bergreichenstein auf einer Anhöhe, ein steiler Berg hinter uns, machten wir wegen einer Panzersperre halt. Tschechen kamen und veranlassten die Umkehr ins Tal zum Dorf wo wir waren. Wir konnten uns nicht wehren weil diese bewaffnet waren. Auf halben Weg ins Dorf passierte wieder etwas besonderes. Aus einem Waldstück kamen deutsche Soldaten, riefen den Flüchtlingen zu, “kehrt um und fahrt den Berg wieder hinauf. Wir schiessen auf die Tschechen bis die Amerikaner kommen, die die Sudetendeutsche inzwischen verständigt haben.”
Ein durcheinander war es, Angst ums eigene Leben. Wir und andere kamen wieder rauf. Aber hier sah ich persönlich, wie ein deutscher Soldat nach dem Krieg sein Leben lies, nur um andere zu helfen. Von den Tschechen tätlich getroffen, fiel er in einer Wiese und ich sah, wie er noch seine Hände einmal erhob. Minuten darauf waren unzählige amerikanische Panzer da. Sie wichen alle von der Straße wo wir standen und fuhren mit Getöse im Graben an uns vorbei. Einige winkten und gaben zu verstehen daß jetzt uns nichts passiert. Wir sind von den Amerikanern nach Bergreichenstein dirigiert worden. Später haben wir erfahren daß wir in der Pufferzone von Russen und Amerikanern waren.
Die Amerikaner haben den deutschen Soldaten geborgen. Es war ein Leutnant und die anderen kamen von selbst, weil sie nur darauf gewartet haben. Am nächsten Tag durften die Flüchtlinge und dem Gefallenen seine Kameraden auf Bewilligung der Amerikaner zur Beerdigung gehen, die in Bergreichenstein stattfand.
Verzeihe daß ich so genau auf diese Ereignisse eingehe und alles in meinen Bericht in die Länge ziehe. Aber es sind unvergessliche Erlebnisse; besonders rührt mich heute noch, der Tod von diesem unbekannten Soldaten. Zu dieser Zeit sind auch Buchenländer und Verwandte von mir, von den Russen eingeholt worden. Diese kamen auch wieder nach langen Umwegen in die Bukowina zurück. Seewiesen, im Böhmerwald, wo einst meine Vorfahren waren, ist ein Ort wo auch einige Gurahumora Flüchtlinge Zuflucht suchten und dann auch nach Rumänien geschickt wurden. Es waren Welisch und Hellinger dabei.
Wie ging es weiter in Richtung Bayern? In Sudetenland konnten wir nicht bleiben. Wir hörten von den Amerikanern, manche konnten gut deutsch sprechen, daß sie wieder vom Sudetenland abziehen werden. Also nichts anderes wie weiter, trotz der Abmagerung unserer Pferde. Sudetendeutsche Waldbauern halfen uns wo es ging und gaben auch Futter für unsere Zugtiere. Einen Ort muß ich nennen: Stadln: ein Dorf auf einem Berghang und wir konnten nicht weiter. Ein amerikanischer Panzer durchbrach eine Brücke und lag halb versunken im Bach. Bei diesem Unfall sollten zwei Soldaten getötet werden sein. In diesem Stadln durfte ich zum ersten mal seit der Flucht wieder in einem Bett schlafen. Damals wussten die Einheimischen noch nicht, daß sie selbst auch vertrieben werden.
Am nächsten Tag hielt uns nichts mehr auf. Im Bach wurde eine Stelle gesucht, wo wir ihn durchfahren konnten. Wie lange wir bis zum Grenzort nach Bayern “Stubenbach” fuhren weiß ich nicht aber in Stubenbach hielten uns die Tschechen wieder auf. Auf einer Wiese standen wir in einem Kreis fast eine ganze Woche.
Nachts wurden wir bewacht daß wir nicht verschwinden konnten. Die Grenze war nur ein Kilometer entfernt. Amerikaner verhandelten laufend mit den Tschechen wegen der Pferde und Wagen. Mein Vater erzählte, weil die Flüchtlinge bei den Verhandlungen dabei sein mußten, wie ein hoher Offizier der Amerikaner versprochen hatte, die Leute über die Grenze zu lassen und anschliessend könnten die Tschechen die Gespanne holen. Nur für ein paar Stunden war die Grenze nach Bayern offen und die Amerikaner befahlen, nicht stehen bleiben, weiter fahren, damit wir weit genug von der Grenze kamen.
Wie es nachher war, erfuhren wir von den letzten, die nachkamen. Die Amerikaner haben zugemacht und keinen Tschechen herüberlassen. Damals waren wir wenige sehr froh über die Amerikaner, wenn sie auch vor paar Wochen uns umbringen wollten, und uns mit Flugzeugen in die Hölle schauen liessen. Nun wir waren in Bayern. Unansehlich sahen alle von uns aus. Wirklich sehr böse war es nach so einer Flucht: Menschen verwahrlost und dreckig, Pferde wie ein Skelett abgemagert und der Wagen kurz vor dem zusammenbrechen. Freie Fahrt hieß es jetzt, aber wohin? Ins Flachland um Arbeit zu suchen.
Zwiesel war unserer erste bayrischer Ort den wir sahen, weil wir vorher nur von Waldwegen kamen. Die bayrischen Leute waren sehr zurückhaltend, denn diese Leute wußten nicht was geschehen war. Aber einen Ort möchte ich wieder in meinen Bericht nennen, nicht weit von Zwiesel, ein Ort der “Bernzelt” hieß. Hier suchten wir wieder halt zum übernachten, das heißt hauptsächlich Wasser zu bekommen. Ein Bauer nahm uns sehr freundlich auf, gab zu essen und trinken und die Pferde wurden direkt zum Heustock gebunden. Am nächsten Tag bedankte Vater sich herzlich, aber der Bauer winkte ab und sagte, “brauch’ keinen Dank, ich tue es für meinen Sohn, der noch nicht vom Krieg heimgekommen ist.”
Bei anderen Aufenthalten, hörten wir oft viel anderes. “Währet daheim geblieben. Wir sind ja auch nicht fortgelaufen.” Ja, ich frage mich heute noch, warum ergeht es so manchen, daß man von seine Ahnen ähnliches erlebt? Überall ein Aufbau und ein fleißiger Volksstamm, dann aber vor dem nichts. Hier will ich vorgreifen, ob es die Sudetendeutschen oder Deutschböhmen aus der Bukowina sind oder waren, soweit ich weiß, fast alle haben sich wieder Vermögen erarbeitet und gute Wurzeln gefasst.
Nun wieder weiter in mein Schreiben: die Fahrt in Richtung Flachland Niederbayern. Von Leuten aus den bayrischen Wald, die auch nicht reich waren, bis auf wenige, erfuhren wir, daß im Flachland große Bauern gebe, die Leute zum Arbeiten bräuchten. Über Deggendorf kamen wir in die Ebene, die Kornkamer von Bayern. Ein kleiner Haufen von Bori und Gurahumoraleute haben zusammen gehalten und sind über die Donau nach Wallersdorf gekommen, ein Ort wo Arbeiter gebraucht wurden.
Wallersdorf war ein ganz besonderer Ort für Bori und Gurahumora, den viele konnten hier Arbeit finden. Viele, denn wenn man heute im Friedhof geht, steht im Grabstein wo sie einst geboren worden sind. Hier muß ich wieder was für mich besonders vermerken. Meine Großmutter Katharina “Vaterseits,” eine Frau die in der Bukowina eine große Familie hatte, erlebte alles, was ich bisher niedergeschrieben habe.
Besonders muß ich ihrer Tochter Margarete (Reti) mit ihrem Mann Josef Hellinger respektieren. Von Prag (Tschechei) bis Wallersdorf sind wir mit Ochsen gefahren und Großmutter konnte nicht mehr aufstehen. Reti ihr Josef ist die ganze Strecke neben den Ochsen zu Fuss gegangen. Heute liegen beide in Wallersdorf in einem Grab. Anderseits, meine Grossmutter “Mutterseits” aus Bori, das gleiche und noch mehr, weil diese bereits aus Oberschlesien als Flüchtling kam.
Zu meinem Leben oder Lebenslauf gehört dies dazu. Meine Großmütter waren laufend in meiner Nähe und es wäre nicht korrekt wenn ich diese nicht nennen würde.
Weiter. Vater konnte in Wallersdorf und Umgebung keine Arbeit finden. Warum ist leicht erklärlich: sieben Menschen in einem Wagen und nur drei Arbeiter. Andere waren Kinder und Großmutter Rosalia. Auf langen Umwegen und noch komische Übernachtungen kamen wir durch ein Pfarramt nach Sondergay. Der Großbauer brauchte Melker für Kühe.
Hier möchte ich sehr kürzen weil es könnte eine Story für sich selbst werden. Also jetzt hört man Sondergay, ein besonderer Ort; kann sein, wenn man es so auffasst. Auf ein Gut oder besser, auf einer großen Landwirtschaft, wurden wir aufgenommen. Ich mußte damals Juni 1945 gleich Kühe auf der Weide hüten.
Ein Jahr später sagte Vater es hätte keinen Wert, ich sollte einen Beruf erlernen. Weiter in die Schule gehen war aus unserer Gegend wo wir waren nicht möglich. Der Großbauer war sehr verärgert als ich im Dorf eine Lehre als Landmaschinenschlosser begann. Mir ist die Lehre nicht schwer gefallen. Sogar mit Freude arbeitete ich in diesem Betrieb, weil sozusagen ich schon viel hinter mir hatte. Drei Kilometer ging ich täglich zwei mal über ein ganzes Jahr zu Fuss, bis ich mir ein Fahrrad verdiente.
Im dritten Lehrjahr ereilte mich ein schwerer Betriebsunfall. Ein Treibriemen erfasste meinen rechten Fuss und zog mich in die Riemenscheibe. Ein ganzes Jahr war ich im Krankenhaus und konnte gerade noch durch die Kunst der Ärzte meinen Fuss erhalten. Heute habe ich noch von diesem Unfall große Beschwerden. Die Lehre habe ich nachgeholt und wurde Geselle mit Note “gut.”
Während dieser Zeit, also 1950, ist Vater Siedler einer Landwirtschaft geworden. Der Großbauer von Sondergay verkaufte und die Landessiedlung hatte aufgekauft und an Flüchtlinge die einmal Landwirte waren wieder über Schuldkredite weitergeben. Nun was sollte man jetzt tun? Ich hatte einen Beruf erlernt und war wieder einigermaßen genesen und die Eltern in voller Arbeit in der Landwirtschaft. Nach langem für und wider in der Landwirtschaft habe ich nach Vaters bitten, meinen Beruf, wie man sagt, auf dem Nagel gehängt und half den Eltern. Mein Bruder Johann war damals erst fünf Jahre alt. Also 1951 im Herbst, bei der Ernte meinen ersten Einsatz im elterlichem Betrieb!
Ich muß es ehrlich sagen, oft habe ich diesen Schritt in meinen Leben, wegen der vielen und schweren Arbeit bereut, aber ich wollte meine Eltern nicht allein lassen. In Sondergay war Vater erst Knecht und jetzt Landwirt selbst mit einem haufen Schulden. Durch enormen Einsatz und große Sparsamkeit war es möglich für uns und die anderen die gesiedelt hatten einen guten Landwirtsbetrieb zu gestalten. Also von nichts wieder die fleißigen Hände, die ein Eigentum schafften. Hier möchte ich wieder erwähnen, welchen Volkstamm die Deutschböhmen sind, ohne Schuld, fast durch Europa geschüttelt und wie der Samen eines Löwenzahn wieder Wurzeln gefasst.
Sechs Jahre später fand ich auch wie damals Vater 1927 und ich 1957 eine Ehegefährtin. Meine Frau Mathilde stammt aus Bayern und hatte den Buchenländer Jakob lieb. Unsere Hochzeit war armselig; wir konnten keine Prachthochzeit halten wegen des Geldes. Aber wir waren zufrieden und dies ist auf jedem Gebiet die Hauptsache.
Vater führte den Betrieb bis 1955. Dann erhielt er die Altersrente und übergab uns das Anwesen. Von da an hiess es fast allein zu arbeiten. Die Eltern schonten sich, ist auch verständlich, und zogen später in das Pfarrdorf Leiblfing, weil wir in Sondergay in einer Einöde wohnten.
Einen Sohn und eine Tochter war die Frucht unserer Ehe, die später uns im Betrieb halfen. Die Tochter erlernte den Bürokaufmann und der Sohn war begeisterter Landwirt. Er absolvierte alle schulischen Ausbildungen und erwarb die Fachschulreife als Landwirt. Weiter studieren wollte er nicht mehr. Als er erwachsen war, liessen wir ihn die Landwirtschaft führen unter unserer Aufsicht.
Ich suchte inzwischen einen Nebenerwerb weil ich daheim nicht so oft gebraucht wurde. In einem Tennisklub als Platzwart habe ich Arbeit gefunden. Ich darf es hier niederschreiben, eine schwere Zeit bannte sich für mich an, das andere kaum merkten. Denn in diesem Tennisverein waren dreizehn Tennisplätze, die mit rotem Ziegelmehl belegt waren und dazu gehörenden Anlagen zu pflegen. Dazu kam noch eine große Umstellung mit Leuten umzugehen. Da kamen feine Menschen, wie Ärzte, Bankleute und Professoren zum spielen. Alle mußten über meine Anweisung auf den Plätzen gehen, also laufend Kontakt. Wenn Turniere waren kamen Leute auch von weither zum spielen. Entschuldige daß ich mich auch mal selber lobe, ich nenne mich als alten Hasen und die meistern das schon.
Damals waren schon 45 Jahre auf meinen Buckel. Es war aber schwer: eine 7-Tagewoche von 1-13 Uhr ob es Sonntag, Ostern oder Pfingsten war, täglich zwischen den Tennisturnieren. Erstaunlich daß ich von allen sehr beliebt gewesen bin. Ich weiß heute noch nicht recht warum. Ich bin schon einige Zeit nicht mehr angestellt, aber wenn ich gesehen werde, kommen fast alle auf mich zu und unterhalten sich mit mir. Ein Jahrzehnt war ich im Tennis beschäftigt und habe sogar eine Tennisballmaschine (Wurfmaschine) gebaut, die heute nach jedem Gewitter wieder wie neu ihrem Dienst tut, wenn auch andere moderne streiken.
Nun was soll ich von meinem Leben noch schreiben? Was ich bis jetzt erlebt und hinter mir habe? Unsere Kinder haben inzwischen geheiratet und wir beide, meine Frau und ich, haben uns aufs altern eingestellt. Immerwieder kommen Erscheinungen in Körper das wir zu den alten gehören. Ein Frührentner bin ich geworden, vielleicht vom vielen arbeiten. Aber wenn noch jemand von uns beiden gebraucht wird, sind wir selbstverständlich zu haben.
Während dieser Lebensumstellung habe ich öfter Zeit zum Nachdenken und zum lesen. So fand ich auch eine weitläufige Verwandte von mir in Amerika. Ich habe die Dame angeschrieben und erhielt prompt eine Antwort von Sophie Anna Welisch, Professorin und Doktorin in Geschichte, die in einer Universität tätig ist. Ich erhalte viele Unterlagen von meinen Ahnen von ihr.
Sogar für ein paar Stunden konnte sie mich besuchen. Die Professorin Welisch aus Amerika wurde zu einen Jahrestreffen der Sudetendeutschen nach Deutschland geladen und erhielt den Preis der Wissenschaft 1985 überreicht. Zu mir kam sie nach dieser Verleihung und es war ein sehr erfreuliches kennenlernen.
Ich werde den Pfingstdienstag 1985 niemals mehr vergessen.
Diese Niederschrift von mir soll auch dieser zuvorgenannten Dame gewidmet sein. Wenn es mal eine Zeit kamen könnte, da wir uns nicht mehr schreiben können, vielleicht wird der Lebenslauf von Jakob Welisch aus Bayern noch einmal gelesen.