Gisela Oberländers Erinnerungen
aufgeschrieben von ihrer Enkelin Renate Gschwendtner
Veröffentlicht mit Genehmigung der Autorin am 26. Januar 2003
Meine Großmutter, Gisela Oberländer, berichtete gerne über ihr Heimatdorf Eisenau in der Bukowina. Mit den Jahren kam eine Sammlung von Tonbandkassetten zusammen, auf denen sie auch immer wieder auf ihre Dienstmädchenerlebnisse zu sprechen kam.
In der nachfolgenden Geschichte habe ich diese Erzählungen zusammengefasst. Sie schildern die Jahre zwischen Schulzeit und Eheleben, in denen meine Großmutter Geld für ihre Aussteuer verdienen und zum Unterhalt der Familie beitragen musste.
Hauptpersonen der Geschichte:
Gisela Oberländer, geborene Kattani, genannt Gisa;
ihre Schwestern Carolina, genannt Linni; Augustine, genannt Gusti; Amalia, genannt Mali; und Angela, genannt Gelli;
ihr Bruder Ambros Kattani;
ihre Mutter Katharina Kattani, geborene Oberländer;
ihr Vater Angelo Kattani, der eigentlich Cattaneo mit Nachnamen hieß, denn er war ein Norditaliener, der in die Bukowina gekommen war, weil man Fachleute für den Eisenbahnbau suchte. Die Eisenauer Zipser hatten Schwierigkeiten bei der Aussprache dieses Namens und so entwickelte er sich zu “Kattani”.
Gisela Oberländer erzählt:
Ich wurde im Jahre 1907 in Eisenau geboren. Das ist ein kleines Dorf in der Südbukowina. Es liegt im Tal der Moldawa und wurde damals fast ausschließlich von Zipser-Deutschen bewohnt. Die Vorfahren der Dorfbewohner wanderten zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus der Zips, einer Landschaft am Fuße der Hohen Tatra, ein, als man in der Bukowina Fachleute für Bergbau und Metallverarbeitung suchte.
Meine Eltern waren einfache Leute, die sich ihren Lebensunterhalt mühsam verdienen mussten. Ich hatte noch vier Schwestern und einen Bruder. Mein Vater arbeitete erst als Steinmetz, später als Waldarbeiter. Unsere sehr kleine Landwirtschaft reichte für die Ernährung der Familie nicht aus. Meine Mutter kümmerte sich um uns Kinder und arbeitete auf dem Feld, im Stall und im Haushalt.
Als ich mit sieben Jahren eingeschult wurde, gehörte die Bukowina noch zur österreichisch-ungarischen K.- u. K.-Monarchie. 1914 brach der 1. Weltkrieg aus. Durch unser Dorf zogen abwechselnd österreichische und russische Truppen, es gab Einquartierungen und oft fiel für lange Zeit der Unterricht aus. Mit meiner Schulbildung steht es deshalb nicht zum Besten. Aber Schreiben, Lesen und Rechnen habe ich gelernt. Das kann man durchaus nicht von allen behaupten, die zu meiner Zeit die Eisenauer Schule verließen.
Im Dienst bei meiner Schwester Linni (12 bis ca. 14 Jahre alt)
Als ich 13 Jahre alt war, ging meine Mutter zum Oberlehrer und bat ihn, mich vorzeitig aus der Schule zu entlassen. Ich hätte nun genug gelernt, meinte sie, und solle künftig meinen Lebensunterhalt selbst erarbeiten.
Der Oberlehrer stimmte zu und von da an ging ich in den Dienst zu meiner älteren Schwester Linni und ihrem Mann Gustav. Seit Mai 1919, als ihre kleine Tochter Rosini geboren wurde, hatte ich bereits an den Nachmittagen für sie gearbeitet. Am Tag nach der Geburt schickte mich meine Mutter zu Linni um ihr bei der Hausarbeit und Betreuung des Kindes zu helfen. Ich erinnere mich noch gut, wie ich mit dem Säugling im Arm aus meinen Schulheften lernte. Damals war ich 12 Jahre alt und bezahlt wurde mir für diese Arbeit nichts. Erst viel später erhielt ich monatlich 500 Lei. Bei fremden Leuten hätte ich 700 Lei verdienen können.
Mein Schwager Gustav, genannt Gustl, hatte ein florierendes Bauunternehmen. Er nahm auch Aufträge außerhalb der Bukowina an – Brücken- und Straßenbauten. Dabei verdiente er gut und ich erinnere mich, dass er eine Zeitlang das Geld rucksackweise nach Hause brachte und auf dem Tisch auskippte. Nebenbei betrieb er noch Landwirtschaft. Es standen immer drei bis vier Kühe und Jungvieh im Stall. An Feldern und Wiesen mangelte es nicht. Er kaufte damals viel Grund, als er das Geld haufenweise heimbrachte.
Zeitweise betrieb er auch zusammen mit einem Geschäftspartner einen Steinbruch in Eisenau, in dem der Schotter für eine rumänische Eisenbahnstrecke gebrochen wurde.
Gustav und der Sägewerksbesitzer galten als die reichsten Männer des Dorfes. Deshalb konnte sich meine Schwester ständig ein Dienstmädchen leisten. Allerdings nahm sie nur mich oder meine Schwestern Gelli und Gusti. Wir waren billiger als andere Arbeitskräfte. Der Nachteil war, dass wir uns nicht alles gefallen ließen. Ab und zu verließ eine von uns Linnis Haus im Streit und dann schickte meine Mutter als Ersatz eine andere Schwester.
Linni war geizig. Nicht einmal meine Schulhefte bezahlte sie, während ich bei ihr arbeitete. Dabei hatte sie immer an die 20.000 Lei in der Bettlade versteckt. Nicht ein einziges Mal bekam ich ein Weihnachtsgeschenk, als ich bei ihr im Dienst war. Meiner Schwester Gusti schenkte sie einmal zu Weihnachten ein Paar Strümpfe. Das war aber Jahre später, als ich bereits bei meinem Bruder arbeitete. Es ist mir so deutlich in Erinnerung geblieben, weil wir Schwestern dieses “Wunder” ganz erstaunt besprachen.
Als Linni und Gustl ihr neues Haus bauten, wollten sie, dass ich es ausweiße. Damals gab es noch keine gute Wandfarbe Wir kalkten unsere Wände und in Linnis neuem Haus deckte der Kalk erst nach viermaligem Streichen. Als Lohn für diese anstrengende Extraarbeit versprach sie mir einen Kleiderstoff. Den erhielt ich erst sehr viel später und ich musste Linni öfter daran erinnern.
Einmal lieh ich mir am Sonntag Linnis neue Schuhe aus. Das erboste meinen Schwager derart, dass die beiden einen heftigen Streit hatten und er die Schuhe wütend in die Ecke schleuderte.
Ein anderes Mal wollte ich Linni verlassen, weil ich die ewigen Milchknedchen satt hatte, die es tagein tagaus gab. Ich wollte endlich etwas Anständiges zu essen. Sie erhitzte Milch und kochte darin kleine Knödel, die aus Mehl, Ei und Wasser geformt wurden. An manchen Tagen musste ich dieses Gericht mittags und abends essen. Als ich mich bei meiner Mutter beklagte, forderte sie Linni auf, mir besseres Essen zu geben. “Du hast doch soviel Geld, Linni”, sagte sie, “Koch doch wenigstens hin und wieder eine gute Suppe.”
Wenn ich gar nicht mehr mit Linni zurecht kam, ging als Ersatz eine meiner Schwestern zu ihr in Dienst. Meine Mutter brauchte daheim immer mindestens eine Tochter als Hilfskraft. Die anderen mussten inzwischen Geld für ihre Aussteuer verdienen. Als Dienstmädchen arbeiteten wir alle nicht gerne, aber ich hatte damit die wenigsten Probleme. Meine Schwester Mali tat lieber Männerarbeit, als fremde Leute zu bedienen. Sie verdingte sich als Handlangerin bei den Maurern, machte Feldarbeit, ging zum Waldanpflanzen und auch bei uns zu Hause drückte sie sich vor der Hausarbeit, so oft sie nur konnte, und hackte stattdessen Holz oder arbeitete auf dem Feld, beim Vieh oder im Garten.
Gusti konnte sich eher mit dem Dienstbotendasein abfinden. Da auch sie immer wieder daheim oder bei unserer Schwester Linni arbeiten musste, waren die Dienstverhältnisse nie übermäßig lang. Da Gusti von uns Schwestern die begabteste Weberin war, bezahlten wir sie, damit sie unsere Aussteuer webte. Sie stellte das feinste Leinen her, fehlerlos und mit wunderbar geraden Kanten. “Gusti hat goldene Hände” äußerte eine Bekannte über Gustis Webarbeiten.
Gelli ging wie Mali lieber als Handlangerin zu den Bautrupps, verdingte sich aber auch hin und wieder als Dienstmädchen.
Ursprünglich hatte ich noch eine Schwester namens Rosa gehabt. Sie starb aber im Alter von 14 Jahren an Bauchtyphus.
Im Dienst bei Ingenieur B. in V. (ca. 14 Jahre alt)
Bei Ingenieur B. in V. suchte man zwei junge Mädchen. Eines zum Kochen und eines als Kindermädchen. Meine Freundin Fani und ich wurden in Dienst genommen. Da ich durch das viele Kümmern um meine Nichte Rosini bereits Erfahrung hatte, betreute ich auch in V. das etwa einjährige Kind der Familie.
Zusammen mit Fani musste ich auf einer Pritsche in der Küche schlafen. Als Pritsche wurde ein rechteckiger Bettkasten mit vier Beinen bezeichnet, der mit Strohsäcken gefüllt und mit Decken oder Teppichen belegt war. Dieses Möbelstück gab es damals in fast allen Häusern. Es diente als Sofaersatz und als Schlafstelle.
Der Herr Ingenieur arbeitete im großen Sägewerk. Das Haus wurde außerdem noch von der Familie des Sägewerksverwalters bewohnt.
Eines Nachts, als der Herr Ingenieur nicht da war, weil er geschäftlich in Tschernowitz zu tun hatte, weckte uns seine Frau und behauptete, Einbrecher seien im Haus. Wir sollten schnell aufstehen und ihr helfen. Fani sprang gleich auf, aber ich hatte solche Angst, dass ich liegen blieb und am liebsten unter die Decke gekrochen wäre um mich zu verstecken. Die Frau Ingenieur ließ mir das aber nicht durchgehen. Sie beharrte darauf, dass ich aufstand und schickte Fani und mich zum Herrn Verwalter um Hilfe. Er wohnte ja nur eine Tür weiter. Vorsichtig, um den Räuber nicht auf uns aufmerksam zu machen, schlichen wir über den Flur zur Wohnung des Verwalters. Auf unser Klopfen hin öffnete er nach einer Weile und blickte uns verwundert an. Aufgeregt berichteten wir von dem Räuber und baten um Hilfe. Mittlerweile war auch seine Frau aufgetaucht. Sie fürchtete sich vor dem Alleinsein in der Wohnung und kam mit uns.
Die Frau Ingenieur stand in ihrer Wohnungstür und erwartete uns. Sie wies mich an, mit dem Kerzenhalter in der Hand voranzugehen. Als wir das Schlafzimmer durchquerten, zitterte ich vor Angst. Auf Frau B.s Geheiß sah ich im Schrank und unter den Betten nach. Nichts! Zum angrenzenden Raum führte eine Flügeltür, deren einer Flügel offen stand. Frau B. äußerte die Vermutung, die Räuber könnten dort hinüber geschlichen sein. Also schickte sie wieder mich mit der Kerze voraus. Hinter mir trotteten wie in einer Prozession die anderen. Auf Zehenspitzen schlich ich durch das dunkle Zimmer, näherte mich dem Schrank, öffnete langsam die Tür und sah ein Paar Schuhspitzen unter den Kleidern hervorschauen. Der Schreck fuhr mir durch alle Glieder. Ich stieß einen spitzen Schrei aus, kreischte “Der Räuber!” und stürzte an den anderen vorbei zur Tür hinaus. Dabei sengte ich der Frau Verwalter mit der Kerzenflamme die Haare an. Alle rannten hinter mir her und gemeinsam machten wir erst draußen im Hausgang halt.
Ganz außer Atem versuchten wir uns zu beruhigen. Der Herr Verwalter fasste sich als erster und meinte, es könne sich wohl doch nicht um einen Räuber gehandelt haben, denn der wäre uns entweder nachgekommen oder in eine andere Richtung verschwunden. Hinter uns war aber alles still geblieben.
Der Verwalter, Fani und ich begaben uns erneut auf die Suche. Die beiden Frauen blieben lieber draußen, denn die Frau Verwalter hatte jetzt mehr Angst um ihre Haare als vor dem Einbrecher. Als wir nun mit kühlerem Kopfe in den Schrank schauten, stellten wir fest, dass unterhalb der Kleider Schuhe von Frau B. standen, deren Spitzen nach vorne gerichtet waren. In der gesamten Wohnung war alles ruhig, unverändert und kein Räuber zu finden. In allen Räumen schalteten wir das Licht ein. Es fand sich nichts Verdächtiges.
“Sie müssen geträumt haben, Frau B.”, meinte der Verwalter. Sie wollte das aber nicht gelten lassen und sagte, sie habe ganz deutlich das Geräusch nackter Füße gehört, die bei jedem Schritt am Linoleum kleben blieben. Fani und ich merkten, dass das auf uns gemünzt war und eine indirekte Beschuldigung darstellte. Alle mussten schweigen und wir wurden angewiesen, nacheinander barfuß über den Boden zu tappen. “Ja, ja – genauso hat es sich angehört! Es muss eine von euch beiden gewesen sein!” rief die Frau Ingenieur.
Wir wiesen diese ungerechte Behauptung empört von uns. Es war ja auch zu verrückt. Wenn wir aufs Stehlen ausgewesen wären, hätten wir tagsüber, wenn sie nicht daheim war, eine viel günstigere Gelegenheit gehabt.
Sie warf uns nicht hinaus, beharrte aber auf ihrer Behauptung. Das ärgerte uns so, dass wir am nächsten Morgen kündigten und gingen.
Noch heute, nach so langer Zeit, denke ich, dass es ihr vor dem Verwalterehepaar peinlich war, dass sie mitten in der Nacht wegen nichts so eine Aufregung verursacht hatte, und deshalb die Schuld auf Fani und mich abwälzen wollte.
Im Dienst bei Advokat G. in K. (ca. 14/15 Jahre alt)
Mit etwas über 14 Jahren bekam ich eine Anstellung in K. bei dem Advokaten G. Zu meinen Aufgaben gehörten das Aufräumen u. Putzen der Küche. Kochen musste ich nicht, denn das Essen wurde täglich von Privatleuten, die gegen Bezahlung für andere kochten, geholt. Ich erhielt dasselbe gute Essen wie die Herrschaft. Einmal, als Frau G. Kalbsschnitzel bestellt hatte, gab man mir mit der Begründung, es sei nicht mehr genug Kalbfleisch vorhanden gewesen, ein Schweineschnitzel mit, das für mich bestimmt war. Frau G. merkte es, ärgerte sich und wies mich an, mich in ihrem Namen zu beschweren. Künftig müsse unbedingt das geliefert werden, was sie bestellt habe.
Geschirrspülen, Tee kochen, Aufräumen der Zimmer gehörten zu meinem Tagespensum. Zwischendurch hatte ich auf das Wetter zu achten. Regnete es, trug ich einen Schirm zum Gericht, damit der Herr Advokat nicht nass zu Hause eintraf. Dasselbe galt für seine Frau, die täglich zum Friseur ging. Ihr musste ich nicht nur bei Regen sondern auch bei Sonnenschein den Schirm nachtragen. Manchmal rannte ich vergebens umher und suchte nach den beiden. Der Herr erschien nicht beim Hauptportal des Gerichtsgebäudes oder die Dame hatte den Friseurladen bereits verlassen und machte noch Einkäufe. Dann musste ich nach einer Weile vergebenen Wartens unverrichteter Dinge zurückgehen. Später tadelten sie mich, weil ich nicht dagewesen sei. Meine Erklärungen wurden nicht recht ernst genommen.
Frau G. war es vor anderen Leuten peinlich, dass ihr Dienstmädchen so alte abgetragene Sandalen anhatte. Sie schenkte mir Stöckelschuhe. Ich hatte aber noch nie vorher solche Schuhe getragen und stolperte zu oft, als dass ich sie gerne angezogen hätte. Trotz Frau G’s Protesten, bevorzugte ich meine alten.
Die Gs. hatten eine große Wohnung im ersten Stock des Hauses. Jedenfalls erschien sie mir, die ich die beengten Eisenauer Wohnverhältnisse gewöhnt war, sehr groß. Es gab ein geräumiges Wohnzimmer, ein Esszimmer, ein Schlafzimmer und eine Küche. Der Sohn des Advokaten musste allerdings im Wohnzimmer auf dem Sofa schlafen. Mein Aufenthaltsraum war die Küche.
Frau G. wies mich an, das schmutzige Spülwasser in die Regenrinne zu schütten, denn die Wohnung hatte zwar Wasseranschluss und elektrisches Licht, doch keinen Kanalanschluss. Das Regenrohr endete einfach unten im Hof. Stand jemand in der Nähe, wurde er nassgespritzt. Nachdem ich ein paar Mal die Parterremieter bespritzt hatte, beschwerten sie sich bei Frau G. Ich stritt alles ab und behauptete, ich hätte das Schmutzwasser immer nur ganz langsam und vorsichtig in die Rinne gegossen. Frau G. glaubte mir oder tat zumindest so und verteidigte mich vehement gegen die Anklagen. Von nun an gönnte ich mir ab und zu einen Spaß und verpasste den Leuten im Hof hin und wieder eine Dusche, was dazu führte, dass sich die G.s im Hof lautstark mit den Parterremietern stritten. Ich steigerte meine Attacken noch, indem ich abends, wenn die Herrschaften ausgegangen waren, alle Lichter löschte und im Dunklen das Spülwasser in die Rinne kippte, sobald ich unten im Hof Stimmen hörte. Das brachte die Leute aus dem Parterre völlig durcheinander. Sie wollten sich beschweren, doch alles war dunkel und versperrt.
Es gefiel mir, dass die G.s mich so verteidigten. Vielleicht hatten sie sogar ihre heimliche Freude daran, dass ich die Erdgeschoßmieter bespritzte. Was mir weniger zusagte, war die Angewohnheit von G.-Junior und -Senior, in der Unterhose bei Tisch zu sitzen. Manchmal saß der junge Herr auch auf der Couch und der Schlitz seiner Unterhose klaffte etwas auseinander. Das war mir entsetzlich peinlich, denn von zu Hause war ich so etwas nicht gewöhnt. Die Hausfrau befahl mir, ich solle ihr und den beiden Herren unter dem Tisch die Hausschuhe anziehen. Ich weigerte mich und sagte: “Frau G., ich bin doch kein Hund, der unter dem Tisch herumkriecht. Ich bringe die Hausschuhe zum Tisch und stelle sie hin.” Doch sie bestand darauf: “Gisa, das gehört zu den Pflichten eines jeden Dienstmädchens. Ich bezahle Sie gut, also müssen Sie diese Pflicht erfüllen.” Wütend kroch ich unter den Tisch. Ich fand es entwürdigend und ekelte mich. “Lange mache ich das nicht mit” dachte ich, “Ihr könnt mich kreuzweis und künftig eure Schweißfüße selber riechen.”
Zum Ende des Dienstverhältnisses führte folgendes Ereignis: Eines Tages war der junge Herr daheim und machte im Wohnzimmer ein Nachmittagsschläfchen. Seine Mutter befahl mir, ihn um 16 Uhr zu wecken und ihm eine Tasse Tee hinzustellen. Als ich pünktlich mit dem Teetablett das Zimmer betrat, lag der junge Herr aufgedeckt da und ich bekam etwas zu sehen, was ich mit meinen 14 Jahren vorher noch niemals gesehen hatte. Erschrocken stellte ich den Tee ab und rannte hinaus.
Als mich Frau G. später schalt, weil ich den jungen Herrn nicht rechtzeitig aufgeweckt hatte, erklärte ich ihr die Ursache. “Falls das wieder einmal geschehen sollte, Gisa”, sagte sie, “dann decken sie den jungen Herrn erst zu und wecken ihn dann auf.”
“Das könnte dir so passen” dachte ich. Als ich abends wieder mit den Hausschuhen unter den Tisch kriechen musste, stand mein Entschluss fest: “Hier bleibe ich nicht!” Gleich am nächsten Morgen sagte ich zur Frau Advokat, dass ich gehen wolle. Sie war gar nicht begeistert und die G.s beharrten auf der getroffenen Vereinbarung und ließen mich nicht fort.
An meinem nächsten freien Tag erzählte ich meiner Mutter alles. Sie war entsetzt. “Wenn die sich so unanständig benehmen, musst du dort sofort aufhören”, sagte sie. “Das wollte ich ja, aber sie lassen mich nicht gehen.” Meine Mutter war ratlos und mit meinem Vater konnte ich diese Dinge nicht besprechen. Es war mir zu peinlich. Meine Schwester Mali erzählte es ihrem Mann und der riet mir, ich solle meine Hand unter dem Ärmel abbinden. Wenn sie blau angelaufen und geschwollen sei, solle ich sie Frau G. zeigen und sagen, ich sei hingefallen und der Arm tue mir fürchterlich weh. Ich befolgte den Rat. Frau G. blickte erschrocken auf meine Hand und wollte mich sofort zum Arzt schicken. Ich weigerte mich, erklärte, dass ich unbedingt nach Hause wolle, und ließ mich durch keinerlei Einwand davon abbringen. Schließlich gab sie nach, händigte mir meinen Lohn aus, und ich verließ das Haus so schnell ich konnte. Es war auch höchste Zeit, denn meine Hand tat so höllisch weh, dass ich mich wegen der Schmerzen gar nicht mehr zu verstellen brauchte. Ich rannte aus dem Ort und band unterwegs den Strick auf. Zu Fuß machte ich mich auf den Weg nach Hause. Je näher ich Eisenau kam, desto besser sah meine Hand aus. Als ich mein Elternhaus betrat, war sie wieder im Normalzustand.
Einige Zeit später fuhr ein Fiaker vor meinem Elternhaus vor. Dem Gefährt entstieg Herr Advokat G., der die Absicht hatte, mich wieder zurück zur Arbeit zu holen. Er traf nur meinen Vater an, der Pfeife rauchend neben dem Ofen saß. Als Herr G. sein Anliegen vorgebracht hatte, antwortete mein Vater: “Meine Tochter kommt nicht mehr zu ihnen. Sie und ihr Sohn benehmen sich zu unanständig.” Meine Mutter musste ihm die Geschichte erzählt haben.
Der Herr Advokat wurde wütend und drohte, er würde mich von der Polizei holen lassen. Als der Wortwechsel solchermaßen eskalierte, packte mein Vater den Schürhaken, der neben ihm in der Holzkiste beim Ofen lag, und trieb Herrn G. damit hinaus. Der rannte zum Fiaker, schwang sich hinauf, trieb die Pferde an, und ward nicht mehr gesehen.
Wenn ich heute als alte Frau an diese Geschichte denke, dann finde ich es seltsam, dass die G.s mich einerseits recht freundlich behandelten und andererseits doch wie ein Möbelstück, das kein Schamgefühl kennt. Vor der Tochter eines Advokaten hätten sie sich wohl kaum in Unterhosen an den Tisch gesetzt.
Im Dienst bei Cousin Anton in S. (ca. 15 Jahre alt)
Eines Tages besuchte mein Cousin Anton meine Mutter. Er überredete sie, mich zu ihm und seiner Frau in den Dienst zu schicken. Ich solle mich dort nur um seinen kleinen Sohn kümmern. Recht viel mehr brauche ich nicht zu machen. Er schmeichelte meiner Mutter, nannte sie seine liebe Tante Kathi, und so stimmte sie schließlich zu. 150 Lei monatlich sollte ich für die Arbeit bekommen.
Anton hatte die höhere Schule besucht und arbeitete jetzt in S. Seine Frau Mitzi stammte aus Böhmen. Er hatte sie während des Krieges kennengelernt, als er als Offizier diente. Vor der Eheschließung war sie Lehrerin. Ihre Eltern waren ziemlich wohlhabend. Sämtliche Geschwister hatten studiert. Mitzi konnte kaum kochen und war von zu Hause her daran gewöhnt, dass ihr immer Dienstboten zur Verfügung standen.
Ich fuhr erwartungsvoll mit meinem Cousin, doch bald kam das böse Erwachen. Es war eine lange Reise bis nach R., einem Gebiet, in dem nur rumänisch gesprochen wurde. Das Sägewerk von S. lag einsam mitten in einem riesigen Waldgebiet auf einer Lichtung. Es gab etliche Häuser für die höheren Angestellten, eine Werkskantine, Baracken für die Arbeiter und sonst nur Wald, Wald, Wald.
Zwar hatte ich mich auch hin und wieder um das Kind zu kümmern, doch mein Cousin hielt sich nicht an die Absprache. Es wurde mir viel andere Arbeit aufgebürdet.
Anton und Mitzi besaßen zwei Kühe, die ich täglich melken musste. Noch nie vorher hatte ich es mit so widerborstigen Tieren zu tun gehabt. Sie traten nach mir bis mir der Milchkübel aus der Hand flog. Ich fürchtete um mein Leben und wollte nicht mehr melken. Also ging mein Cousin immer mit in den Stall, steckte den Kühen einen dicken Stock hinter den Beinen durch und hinderte sie so am Ausschlagen. Angst hatte ich aber trotzdem noch.
Der Hof war voller Geflügel. Es wimmelte nur so von Hühnern und Gänsen. Für die musste ich tagelang Brennnesseln schneiden, nachdem ich sie vorher am Waldrand gepflückt hatte. Diese Arbeit hasste ich. Sie wurde mir auch daheim oft von meiner Mutter aufgebürdet.
Abends, wenn Cousin Anton und seine Frau ihr Abendessen einnahmen, wiegte ich im abgedunkelten Schlafzimmer den kleinen Buben, bis er eingeschlafen war. Mein Essen bekam ich später. Da ich mit ihnen verwandt war, waren sie ein bisschen in der Zwickmühle. Eine Fremde hätte nicht mit ihnen zusammen essen dürfen. Bei mir sah das anders aus. Indem sie mich zur Abendessenszeit beschäftigten, lösten sie das Problem auf “elegante” Weise.
Schlafen musste ich auf einer Pritsche in der Küche. Nachts fielen die Wanzen über mich her. Tagsüber konnte ich sie nicht erwischen, denn sie verkrochen sich in den Ritzen der Wand.
Für kurze Zeit kam mein Cousin Raimund zu Besuch. Er war Antons Bruder und noch ein halber Bub. Sie hatten kein Bett für ihn. Deshalb musste er mit mir zusammen auf der Pritsche schlafen. Er lag an der Wand und die Wanzen taten sich hauptsächlich an ihm gütlich. Am nächsten Abend hatte er begriffen und schlug vor, dass ich zur Abwechslung an der Wand schafen solle. Ich wollte aber nicht. Er weigerte sich ebenfalls und zum Schluss prügelten wir uns sogar deswegen.
Wenn Anton und Mitzi in den nächsten Ort zum Einkaufen fuhren, genoss ich das Alleinsein und probierte Mitzis Hüte und Kleider an. Sie war ziemlich gut ausstaffiert und besaß auch eine große Auswahl an Unterwäsche. Ich dagegen hatte nicht eine einzige Unterhose.
Tagsüber saß Mitzi viel am Küchentisch und aß und las, während ich wieder einmal Brennnesseln für die Unmengen von Gänsen schnitt. Mir wäre lieber gewesen, sie hätte sich mehr mit Kochen beschäftigt. Das Essen war so schlecht, dass Anton immer wieder versuchte, mich zum Kochen zu überreden.
Einmal wollte mich Anton in die Sägewerkskantine schicken um etwas für ihn zu kaufen. Ich konnte aber nicht rumänisch und die dortige Gegend war rein rumänischsprachig. Also sagte Anton mir vor, was ich verlangen sollte. Als seine Frau ein prustendes Gelächter ausstieß, wurde ich misstrauisch. “Du hast mir etwas Schweinisches vorgesagt!” rief ich. “Nein, nein, verlang nur ……….. .” Mitzi prustete wieder los und jetzt fing er auch an. Sie wanden sich vor Gelächter. Obwohl ich kaum 15 Jahre alt war, war ich doch nicht so blöd, dass ich darauf hereingefallen wäre. “Holt euch euer Zeug selber!” schrie ich und rannte hinaus.
Einige Zeit später, als Mitzi mich mit einem der Arbeiter, der ebenfalls aus Eisenau stammte, zum Himbeerensammeln in den Walde schickte, entdeckten wir unterhalb eines Felsens einen schlafenden Bären. Nach einer kurzen Schreckstarre rannten wir, was unsere Beine hergaben. Dreckig, zerzaust, blutig gekratzt von Ästen, erreichten wir die Sägewerkslichtung. Von da an weigerte ich mich in den Wald zu gehen. Wenn sie unbedingt Himbeeren wollte, sollte sie sich doch selber vom Bären anfallen lassen.
Einer meiner anderen Cousins, der Franzl, arbeitete im Sägewerk von S. Auch sein Vater war dort beschäftigt. Sie schliefen auf dem Dachboden von Antons Haus und abends kochten sie sich immer etwas in der Küche. Sie wollten, dass ich für sie kochte, aber damals konnte ich es noch nicht. Meine Mutter ließ mich daheim abspülen, aber sie hatte mich noch nicht kochen gelehrt. “Höchstens Milchsuppe mit Knedchen könnte ich für euch machen”, sagte ich. Die konnte ich, weil ich im Dienst bei meiner Schwester Linni fast nichts anderes bekommen hatte.
Also kochten die beiden ihr Essen weiterhin selber. Dabei bekam Cousin Grill eine Auseinandersetzung zwischen Anton und seiner Frau mit. Sie hatte Fleisch in Rahmsauce zubereitet, aber gerade nur soviel, dass es für sie und ihren Mann reichte. “Was soll die Gisa essen?” fragte Anton. “Die kann nachher Mamaliga (Maisbrei, rumänische Polenta) mit Milch essen”, anwortete Mitzi. “Nein, das gibt es nicht. Ich hab’ der Tante Kathi versprochen, dass sie hier gut behandelt wird.” Anton nahm sich nur wenig Fleisch und aß stattdessen Mamaliga mit Milch. Das restliche Fleisch bewahrte er für mich auf.
Cousin Franzl erzählte mir die Geschichte und sagte: “Dieses Weib kann uns alle nicht leiden. Sie hat etwas gegen Antons Verwandtschaft. Wie lange willst du dir das hier noch gefallen lassen? Die nutzen dich aus und halten sich nicht an die Abmachung. Schau nur deine Hände an, wie rot die sind von der vielen Brennnesselschneiderei, und eines Tages werden dich diese Biester von Kühen noch erschlagen.”
Franzl schlug vor, ich solle mit ihm zusammen nach Hause gehen. Er wollte aufhören und nicht mehr zurückkommen. Alleine hätte ich nicht fortgekonnt, denn es war eine Tagesreise mit dem Pferdewagen bis nach Eisenau. Franzl wollte eine Abkürzung über die Berge nehmen und zu Fuß gehen.
“Der Winter kommt”, sagte Franzl, “und dann sitzt du hier fest. So schnell fährt dich der nicht nach Hause.”
Er hatte Recht. Seit dem Frühjahr war ich jetzt schon hier und hatte mehr als genug, besonders von den Wanzen.
Cousin Anton war nicht begeistert. Er fragte, warum ich gehen wollte. Ich traute mich aber nicht, ihm die volle Wahrheit zu sagen. Als ich mich nicht umstimmen ließ, gab er mir mein Geld und ich machte mich mit Franzl auf den Weg. Um drei Uhr morgens brachen wir auf und gingen über die Berge. Es war ein weiter und mühsamer Weg, bergauf und bergab durch die einsamen Wälder. Auf einer Lichtung machten wir Rast und Franzl gab mir etwas von seiner Wegzehrung ab, denn Anton und Mitzi hatten mir nicht einmal ein Stück Brot mitgegeben. Ich setzte mich auf einen Baumstamm, genoss die Strahlen der warmen Morgensonne und das Gefühl der Freiheit. Franzl packte das Essen aus. Er setzte sich zu mir auf den Baumstamm. Da spürte ich ein ekliges Krabbeln auf meinem Rücken. Ich sprang auf und schrie: “Franzl, schau was da krabbelt!” Er griff mir hinten ins Kleid und zog eine kleine Eidechse heraus. Es schüttelte mich vor Widerwillen und ich hoffte, dass die Wanderung bald überstanden sei. Aber der Weg war noch weit. Immer wieder musste ich an das Erlebnis mit dem Bären denken und sah mich sichernd um. Franzl kannte die Geschichte mit dem Bären bereits und ihm war vermutlich auch nicht ganz wohl.
Bei Stulpikany verließen wir endlich die Wildnis. Von dort aus ging es zu Fuß weiter bis Gurahumora. Dort wollte ich mir etwas zu essen kaufen. Vor dem Laden fiel ich vor Müdigkeit und Hunger um wie ein Stück Holz. Die Ohnmacht übermannte mich. Inzwischen war es 4 Uhr nachmittags und wir waren seit 3 Uhr morgens unterwegs. Die Ladenbesitzer brachten mir einen Stuhl und ein Glas Wasser. Franzl kaufte mir zwei Semmeln. Bald fühlte ich mich besser und wir konnten mit dem Zug die Reise nach Eisenau fortsetzen.
Als mich später Franzls Mutter, meine Tante, fragte, weshalb ich nur so kurz bei Cousin Anton geblieben sei, erzählte ich ihr von den Wanzen, dem Brennnesselschneiden und davon, wie mich Mitzi beim Erdbeerklauben ausgelacht hatte. Wir hatten an einem Berghang Walderdbeeren gepflückt. Ich stand ein Stück oberhalb von ihr. Plötzlich deutete sie auf mich, brach in ein quietschendes Gelächter aus und machte ihren Mann auf mich aufmerksam. Das war mir besonders peinlich, dass auch er mir unter den Rock schauen konnte. Die beiden fanden es sehr lustig, dass ich keine Unterhose anhatte. Auf die Idee, mir eine zu kaufen, kam Mitzi nicht. Damals trugen meine Schwestern und ich nur im Winter Unterwäsche. Es handelte sich um Hemdhöschen, die einen Schlitz hatten, weil man auf den kalten Außentoiletten nicht das ganze Kleid ausziehen konnte.
Waldarbeit in der Dobra und in Mollit
Zwischen den Anstellungen als Dienstmädchen verdingte ich mich öfter bei der Forstverwaltung in der Dobra. Wenn man von Eisenau nach Vama ging, führte kurz vor Vama ein links abzweigender Weg in ein großes Waldgebiet – die Dobra. Der Förster war einer meiner Verwandten. Ich musste beim Ausgrasen des Sägartens helfen, und auf dem landwirtschaftlichen Grund der Försterei Heu machen, Kartoffeln hacken, jäten usw. Jede Försterei hatte einen großen Sägarten.
Für das Ausgraben der kleinen Bäumchen wurden ebenfalls Arbeitskräfte benötigt. Die Mädchen, die für den Förster arbeiteten, schliefen in einer Bretterbude. An den steilen Hängen grub eine Gruppe Mädchen kleine Löcher, während eine andere Gruppe hinterher kam und die Bäumchen einpflanzte. Es war anstrengend und ermüdend und abends fielen wir totmüde auf die Schlafsäcke in der Bretterhütte.
Gab es in der Dobra keine Arbeit mehr, ging ich zum Bruder des Försters, der in der Nähe von Mollit ebenfalls Leute zum Anpflanzen des jungen Waldes brauchte.
Vom Frühjahr bis zum Sommer konnte ich mir bei der Waldarbeit etwas verdienen. Manche Mädchen wurden nicht so lange beschäftigt. Die Förster suchten sich die fleißigsten aus.
Im Dienst bei Familie X. in Tschernowitz (ca. 15/16 Jahre alt)
Nachdem ich wieder für eine Weile bei meiner Schwester Linni gearbeitet hatte, ging ich für vier Monate in den Dienst bei Familie X. in Tschernowitz.
Sie hatten ein Schnittwarengeschäft (Stoffe und Kurzwaren) und hatten mich angeworben, als sie in Kimpolung auf Sommerfrische waren. Einen Arbeitsvertrag oder ein Dienstbuch hatte ich nicht. Eine mündliche Vereinbarung wurde als ausreichend angesehen.
Außer dem Ehepaar X. lebten noch die Eltern des Ladenbesitzers und drei kleine Töchter in der Wohnung, die nicht sehr groß war. Ich musste auf der Pritsche in der engen Küche schlafen, in der es unangenehm stank, weil eine Verbindungstür in die fensterlose Toilette führte. Nachts wurde ich häufig gestört, weil immer wieder einer der X.s das Stille Örtchen aufsuchte. Das Essen nahm ich mit den Kindern an einem unbequem niederen Kindertisch ein. Ich war damals etwa 15 Jahre alt und meine Beine für das Tischchen zu lang.
Zu meinem Aufgabenbereich gehörten das Putzen, Geschirrspülen und Einkaufengehen. Außerdem hatte ich mich um die kleinen Töchter zu kümmern. Die älteste war zwischen zehn und zwölf Jahren alt. Sie war in dem Alter schon klüger als ich Landpomeranze, führte mich zum Meldeamt und zeigte mir die Läden, in denen ich einkaufen sollte.
Einmal musste ich die Kinder ins Kino begleiten. Es war mein allererster Kinobesuch. Damals wurden noch Stummfilme gezeigt. An die genaue Geschichte kann ich mich nicht mehr erinnern, aber eine Szene vergesse ich nie mehr: Ein Mann wurde mit Gewalt in eine hölzerne Kiste gesteckt und in eine Schlucht geworfen. Ich war derart von der Handlung gefesselt, dass ich das Geschehen für Wirklichkeit hielt. Es regte mich so auf, dass ich laut zu schreien anfing. Die anderen Kinobesucher schauten in meine Richtung, die Tochter meiner Arbeitgeberin versuchte mich zu beruhigen. Als mir bewusst wurde, dass alles nur im Film passiert war, schämte ich mich und war froh, als ich das Kino verlassen konnte.
Das Essen für die Familie und mich kochte die alte Mutter. Sie trug ein Gebiss, dass ihr nicht richtig passte. Manchmal troff ihr ungewollt der Speichel aus dem Mund. Ich ekelte mich entsetzlich, denn ich fürchtete, dass ab und zu eine Speichelfahne im Essen landete.
Ich hatte die Kinder recht gerne, niemand war unfreundlich zu mir, und doch fühlte ich mich in dieser Stellung gar nicht wohl, denn ich hatte gegen den ständigen Ekel wegen der speichelnden Großmutter und der stinkenden Küche zu kämpfen. Also kündigte ich und wandte mich wieder meinen üblichen Arbeiten zu: abwechselnd bei meiner Mutter, meiner Schwester Linni und bei Feld- und Waldarbeit.
In Dorna Watra beim Kochen/Kauf einer Strickmaschine (ca. 17/18 Jahre alt)
Mein Schwager Gustav hatte den Auftrag für einen Straßenbau in Dorna Vatra erhalten. Sein Bautrupp und etliche Fuhrleute waren in einem alten Haus am Kurpark untergebracht. Mich nahm er als Köchin mit. In dem Haus wohnte auch eine ältere Frau, die sich ihr Geld mit Stricken verdiente. Aus Anstandsgründen, da in dem Haus so viele Männer untergebracht waren, schlief ich bei ihr im Zimmer.
Vom Frühjahr bis zum Herbst dauerte diese Arbeit. Mein Lohn betrug 70 Lei täglich und das Essen.
Den Fleischeinkauf besorgte einer der Arbeiter. Er teilte mir die täglichen Rationen zu und bestimmte, was ich zu kochen hatte. Die anderen Zutaten kaufte ich selber.
Zum Frühstück gab es Tee mit Rum oder Zitrone, mittags Suppe, Fleisch, Kartoffeln, und Abends meist Gulasch oder Fleischpflanzerl.
Eines Tages kaufte Gustl für die Summe von 1000 Lei eine Strumpfstrickmaschine. Die alte Strickerin in Dorna brachte mir das Arbeiten mit diesem Gerät bei. In Gustls Auftrag strickte ich Strümpfe für die Eisenauer. Es gab sogar Bestellungen aus Kimpolung. Mit der Zeit waren aber alle versorgt, das Garn war teuer, und so gingen die Aufträge zurück. Eine Weile hatten wir aber ganz gute Einnahmen gehabt.
Allerdings bekam ich mein Gehalt nie zu sehen. Meine Schwester Linni verwaltete es für mich. Bei der Kocharbeit in Dorna hatte ich soviel verdient, dass dafür bei einem Schreiner Schlafzimmermöbel gekauft wurden, die zu meiner Aussteuer gehören sollten und die ich bei meiner Mutter unterstellte. Ich durfte sie nicht einmal aussuchen. Das besorgten meine Schwester und ihr Mann. Als ich sie sah, war ich aber zufrieden. Es waren sehr schöne Möbel. Wie viel sie gekosten haben, weiß ich bis heute nicht. Auch meine andere Aussteuer wurde von Linni ausgesucht. Brauchte ich neue Schuhe oder hatte eine sonstige Ausgabe, musste ich Linni um mein Geld bitten.
Im Herbst ging ich für vier Wochen Kartoffeln aushacken. Da waren erst einmal unsere eigenen Grundbirn, wie sie im Zipserdialekt genannt wurden, und dann gab es Leute, die mit der Arbeit nicht nachkamen und mich und meine Schwestern für das Katoffelernten bezahlten.
Es war eine körperlich sehr anstrengende Arbeit. Vielleicht habe ich sie auch deshalb in so schlechter Erinnerung, weil mein Vater damals schon sehr krank und sein Ende absehbar war.
Im Dienst bei Sägewerksverwalter L. in S. (ca. 18 Jahre alt)
Etwa zur Zeit, als mein Vater starb, arbeitete ich für den Sägewerksverwalter L. in S. Eine Cousine, deren Mann dort Werksführer im Sägewerk war, hatte mich vermittelt.
Herr L. war ein feiner Mensch, nicht schön, denn er hatte eine krumme Nase, doch sehr gebildet und von angenehmer Wesensart.
Seine Frau war sehr genau und gründlich. Sie wusch die Wäsche selber und bereitete auch das Essen selber zu, weil andere ihren Ansprüchen nicht gerecht wurden. Für mich blieb aber noch genug Arbeit übrig. Im Stall standen ein Pferd und eine Kuh.
Die Parkettböden musste ich reinigen und die Teppiche ausklopfen. Überall im Haus gab es sehr schöne Teppiche.
Die Ehebetten machte die Frau Verwalterin selber, um die Betten der Kinder hatte ich mich zu kümmern.
Täglich musste ich morgens Milch zu einem der Sägewerksangestellten tragen. Er öffnete die Tür im Nachthemd und ich konnte seine Socken und Sockenhalter sehen. Da er steckendürre Waden hatte, fand ich diesen Anblick sehr lustig und konnte mir das Kichern kaum verkneifen.
Einmal gingen die L.s auf einen Ball. Als sie festlich gekleidet erschienen, war ich voller Bewunderung. Frau L. war gutaussehend, schwarzhaarig, klein und füllig. Das schwarze Seidenkleid sah sehr elegant aus. Herr L. trug einen Frack. Es war das erste Mal, dass ich das festlichste aller männlichen Kleidungsstücke zu Gesicht bekam. Als Herr L. sich umdrehte, sah ich, dass hinten zwei Stoffschwänze baumelten. Das fand ich derart erheiternd, dass mich ein Lachanfall schüttelte. Erstaunt blickten mich die L.s an. “Was finden sie denn so komisch, Gisela?” fragte Frau L. Vor Lachen konnte ich kaum antworten: “Die komischen Schwänze an der Jacke.” Am Gesichtsausdruck der beiden konnte ich erkennen, was sie von meiner Reaktion hielten.
Bei Frau L. machte ich die Bekanntschaft mit der sogenannten “Geldprobe”. So prüften manche der “Herrschaften” damals, ob die Dienstmädchen ehrlich waren.
Ich fand etliche Geldmünzen unter dem Teppich, als ich den Boden reinigte, hob sie auf und trug sie zur Hausherrin: “Hier ist das Geld, das sie unter den Teppich gelegt haben, Frau L.”, sagte ich. Sie sollte wissen, dass ich die Situation durchschaute.
Sechs Monate war ich in S. – von November bis April. Dann wollte meine Mutter, dass ich nach Hause kam und bei ihr arbeitete, damit auch meine Schwester Gelli Gelegenheit bekam, sich Geld für ihre Aussteuer zu verdienen.
Mir gefiel es dort, ich wäre auch noch länger geblieben. Gelli dagegen war unzufrieden, beschwerte sich, dass es kein Trinkgeld gab, und hörte frühzeitig auf. Sie arbeitete lieber als Handlangerin bei den Maurertrupps.
Später ging ich wieder für eine Weile zum Cousin meiner Mutter, dem Förster. Dort gab es fast immer etwas im Wald zu tun.
Im Dienst bei Kantinenwirt K. in M. (ca. 19/20 Jahre alt)
Als ich etwa 19 oder 20 Jahre alt war, arbeitete ich für eine Wintersaison bei Familie K. in M. Dort stand ein großes Sägewerk, dessen Kantine die K.s betrieben. Eigentlich wollte meine Schwester Gusti diese Arbeit annehmen, überlegte es sich aber in letzter Minute anders. Erfahren hatten wir von der Stelle durch eine Eisenauer Frau namens Ginne, die die Stiefmutter meiner Freundin Fani war. Sie arbeitete als Köchin für den Sägewerksbesitzers K., der die Wintersaison mit der Familie immer in Wien verbrachte. Begleitet wurden die K.s von der zweiten Bediensteten der Familie. Ginne kümmerte sich inzwischen um das Haus.
Als ich in M. eintraf, führte mich Frau K. in die Kantinenküche, in der unter anderem ein großer Herd, zwei Tische und eine Pritsche standen. Eine Tür führte in ein Schlafzimmer, das an Gäste vermietet wurde. Es gab noch ein zweites Gästezimmer, das an die Deutschländer dauervermietet war, die am Bau der neuen Papierfabrik beteiligt waren. “Deutschländer” nannten wir damals in Unterscheidung zu uns Bukowina-Deutschen die Leute aus dem Deutschen Reich.
Frau B. erklärte mir, dass ich, sofern keine Gäste ihn beanspruchten, den Raum neben der Küche benützen könne, ansonsten aber die Küchenpritsche mein Schlafplatz sei. Das wollte ich nicht akzeptieren. “Ich schlafe doch nicht hier, wo den ganzen Tag über irgendwelche Leute ihre Hinterteile wetzen. Da fange ich mir womöglich noch Flöhe ein. Wenn sie keine bessere Schlafstelle für mich haben, fahre ich gleich wieder nach Hause.”
Sie hatte aber kein freies Bett und als ich bereits gehen wollte, kam Ginne und bot mir das andere Bett in ihrem Zimmer an, das der zweiten Bediensteten des Sägewerksbesitzers gehörte.
So schlief ich den Winter über in Ginnes Zimmer und alle 14 Tage, wenn Zahltag war, im Schlafzimmer der K.s auf dem Sofa. Dann hatten die Arbeiter Geld und das Geschäft ging gut. Frau K. und ich lösten uns in der Küche ab. Ich arbeitete bis ca. 10 Uhr abends, danach machte Frau K. die Küchenarbeit. Sie übernahm lieber die Spätschicht, denn dann waren die Sägewerksarbeiter bereits besoffen und merkten nicht, dass sie nicht so gut kochen konnte. Ihre kleine Tochter hatte nachts Angst, wenn man sie alleine ließ, deshalb legte ich mich auf das Sofa und blieb bei dem Kind.
Als es feststand, dass ich bleiben würde, nahm mich Frau K. beiseite und warnte mich vor ihrem Mann. Er sei ein Weiberheld, sagte sie, und habe erst kürzlich ein mittelloses Mädchen geschwängert. Ich solle ihn mir vom Leibe halten, brauche nichts für ihn zu tun. Sie persönlich würde mir die Arbeit zuweisen.
Ich rührte tatsächlich keinen Finger für den Herrn K. Wollte er, dass ich seine Schuhe putzte, sagte ich: “Das gehört nicht zu meinen Aufgaben, Herr K., putzen sie ihre Schuhe selber.” Ziemlich barsch fertigte ich ihn immer ab. Deshalb mochte mich seine Frau.
Neben der Küchenarbeit musste ich noch die beiden Kühe melken. Um die Stallarbeit kümmerte sich Herr K. selber. Außer den Kühen gab es auch ein Pferd. Wenn ich um fünf Uhr in der Frühe aufstand und zum Melken ging, hakte ich die Stalltür immer gründlich zu. Um diese Zeit schlief Herr K. zwar noch, aber man konnte nie wissen…… Wenn ich abends molk, war ich noch vorsichtiger. Ich betrat den Stall nur, wenn ich sicher sein konnte, dass er nicht drin war.
Die K.s hielten auch ständig etliche Enten. Damit diese besonders fett wurden, musste ich sie stopfen. Das Futter bestand aus Mamaliga (rumänische Polenta), die ich aus Maismehl und Kartoffeln zubereitete und trocknete.
Als ich eines Morgens um 5 Uhr zum Melken in den Stall kam, waren drei Enten tot. Ich packte sie und schnitt ihnen die Gurgel durch. Frau K. erzählte ich später, sie hätten während des Stopfens Erstickungsanfälle bekommen und sicherheitshalber hätte ich sie geschlachtet. Sie zweifelte meine Worte nicht an und lobte mich für die schnelle Reaktion. Später rupften Ginne und ich die Tiere, nahmen sie aus, legten sie auf den Balkon, wo sie in der Kälte steiffroren. Es war ein sehr kalter Winter damals.
Der jüngere Bruder des Herrn K. arbeitete im Schankraum der Kantine. Er wollte mich immer kontrollieren und schaute mir bei der Arbeit zu. Weil mich das störte, beschwerte ich mich bei Frau K. Vor allem wollte ich, das die Tür zwischen Kantine und Küche geschlossen blieb. In der Küche saßen oft Gäste. Der jüngere Herr K. war neugierig und sprang ständig zwischen den Räumen hin und her. Er riss die Türe auf, ich schloss sie wieder, er riss sie erneut auf, ich schloss sie erneut. So ging das eine Weile und endete in einem Streit, den ich für mich entscheiden konnte, weil Frau K. auf meiner Seite war. Sie mochte mich, weil ich ihrem Mann keine schönen Augen machte und ihn, wie befohlen, schroff behandelte.
Wenn ich eine der drei Enten, denen ich erst nach ihrem Tode den Hals umgedreht hatte, zubereitete, fand ich immer Ausreden, mich vor dem Essen zu drücken. Das fiel dem jüngeren Herrn K. auf. Er wurde misstrauisch. “Nie will sie etwas von dem Entenbraten”, sagte er, “einmal hat sie Kopfweh, einmal ist sie schon satt. Dauernd ist was anderes. Was stimmt denn nicht mit der Ente?”
“Alles stimmt!” sagte ich. “Mir schmeckt Entenfleisch nicht. Ich esse NIE Ente. So, und jetzt wissen s’ es.”
Was den Enten gefehlt hat, weiß ich nicht. Sie waren eben an irgend etwas eingegangen und noch warm, als ich sie fand. Die K.s sind nicht eingegangen – also kann es so schlimm nicht gewesen sein.
Meine Freundin Ginne half mir oft bei der Arbeit. Solange ihre Herrschaft in Wien war, hatte sie nur für sich selber zu kochen, zu heizen und hin u. wieder zu putzen. Sie verbrachte viel Zeit bei den K.s, bei denen sie vorher auch in Dienst gewesen war, unterhielt sich mit den Leuten, packte aber auch mit an, wenn es viel Arbeit gab und Hilfe gebraucht wurde. Sogar der Waschfrau half sie ab und zu beim Bügeln.
Die K.s waren keine eingebildeten Leute. Sie ließen mich mit ihnen zusammen essen. Bei Ginnes Arbeitgebern ging es dagegen hochherrschaftlich zu. Die Familie besaß nicht nur das Sägewerk, es war auch gerade eine Papierfabrik in Bau. Wenn Ginne in den Räumen ihrer Herrschaft Staub wischte und einheizte, sah ich mir alles an. In fast allen Zimmern waren Holzöfen. Besonders gefiel mir das große Wohnzimmer. An den Wänden hingen riesige Gemälde der Fabrik und es gab ein schwarzes, glänzendes Klavier. Ich konnte nicht widerstehen, hob den Deckel und hämmerte wild auf die Tasten ein. Ginne war entsetzt und schrie: “Lass das stehen, du wirst es kaputt machen!” Ich ließ mich aber nicht drausbringen und setzte meine wilde Katzenmusik fort. Sie kam angerannt und knallte mir fast den Klavierdeckel auf die Finger.
Manchmal ärgerte sich Ginne über meine Wesensart, manchmal äußerte sie aber auch bewundernd: “Gisa, was du dich alles traust! Was du alles zu den K.s sagst. Das würde ich niemals wagen.” Ich hab mein Leben lang kein Blatt vor den Mund genommen und das hat mir nicht nur Vorteile gebracht.
Der Sägewerksbesitzer verstand sich sich gut mit Frau K. Wenn er nicht gerade zur Saison in Wien war, kam er öfter in die Kantine und tratschte dann lange mit der Wirtin. Seine Frau sah das gar nicht gerne und war eifersüchtig. Sie besaß einen Persianermantel für 120.000 Lei. Als sich Frau K. dann auch noch einen ähnlichen Mantel kaufte, war die Gattin des Sägewerksbesitzers stocksauer und sprach kein Worte mehr mit ihr.
Wegen des außerehelichen Kindes hing der Haussegen bei den K.s mehr als schief. Sie stritten täglich – hauptsächlich wegen des Geldes, das Herr K. an die Kindsmutter zahlen musste. Peinlich war auch, dass Mitglieder von Herrn K.s Religionsgemeinschaft zusammengelegt und für das schwangere Mädchen eine Säuglingsausstattung gekauft hatten.
Frau K. wollte ihren Mann verlassen. Als sie mir ihre Pläne eröffnete, sagte ich: “Dann muss ich auch gehen. Alleine bleibe ich nicht bei ihrem Mann und seinem Bruder. Das schickt sich nicht.”
“Bleiben sie wenigstens drei Tage”, bat sie mich, “wenn ich dann nicht zurückkomme, dann habe ich mich endgültig entschlossen, die Scheidung einzureichen, und dann können sie gehen.” Ich versprach es ihr und blieb. Gleich am ersten Tag kam Herr K. abends in Begleitung zweier junger Frauen nach Hause. Als ich die kommen sah, versteckte ich schnell die Topfenpalatschinken, die ich gemacht hatte, und stellte nur vier Stück für ihn selber hin. Er wollte, dass ich den beiden etwas zu essen herrichtete. “Ich hab’ nur die vier Palatschinken”, sagte ich. Für diese Weiber würde ich keinen Finger rühren, dachte ich bei mir. Sie waren inzwischen ins Schlafzimmer gegangen. Dort benützten sie Frau K.s Kämme und die Puderdose, was mich so richtig in Rage brachte. Ich drohte ihnen, dass ich alles Frau K. erzählen würde. Sie lachten und sagten: “Der Herr K. hat es uns aber erlaubt.”
Nach drei Tagen kam seine Frau zurück. Was blieb ihr auch anderes übrig. Ich erzählte ihr, dass ihr Casanova schon am ersten Tag Weiber angeschleppt hatte und dass die ihre Sachen benutzt hatten. Sie solle nachschauen, ob noch alles da sei. Ich wolle nicht in Verdacht geraten etwas gestohlen zu haben. Dass ich das Essen versteckt hatte, sagte ich ihr auch und sie lachte und lobte mich dafür.
Zum Wäschewaschen kam eine Waschfrau – die Peppi. Sie war damals so um die 50 Jahre alt und stammte wie ich aus Eisenau. Da sie keine Schönheit war und Mutter eines unehelichen Sohnes, hatte sie nie einen Ehemann gefunden und musste ihr Leben als Wäscherin fristen.
Sie stellte große Töpfe auf den Herd um die Wäsche darin auszukochen. Als eines Tages ein reicher Holzhändler aus Tschernowitz einkehrte, war sie gerade wieder bei der Arbeit. Er kam zu uns in die Küche, zog seine schwere Pelzjacke aus, hängte sie an einen der Türhaken, nahm seine Pelzkappe ab, steckte sie auf das obere Türeck und betrat die Kantine. Fast gleichzeitig hob Peppi einen Topf mit karierten Handtüchern vom Herd, stellte ihn neben die Tür, stieß an – und plumps – die Mütze fiel ins Wasser. Ich hatte das Unheil nahen gesehen, doch alles geschah so schnell, dass ich nur noch einen Sprung machen und die Fellmütze aus der kochenden Lauge fischen konnte. Unters kalte Wasser damit, ausgedrückt und in ein Handtuch gewickelt, gut abgetrocknet, dann mit Zeitungspapier ausgestopft und eingewickelt, dann auf den gemauerten Ofen gestellt. “Um Gottes Willen, was wird der jetzt sagen?” fragte ich die Peppi.
“Der soll mich am Arsch lecken”, antwortete sie, “Hätt’ er seine Mütze nicht so blöd aufgehängt, wär’ sie nicht reingefallen. Ich bin aus Versehen mit dem Hinterteil an die Tür gestoßen. Der soll nur was sagen. Dem werd ich helfen. Der stinkt mir sowieso schon lange.”
Peppi mochte den Holzhändler nicht, weil er, als er früher einmal hier eingekehrt war, über die Eisenauer Männer hergezogen war: “Wenn ich nach Eisenau komme, stehen die Männer immer am Kabinettl, saufen Schnaps, vertrinken ihr Geld und haben dann keines für ihre Frauen.” Peppi stritt sich mit ihm: “Die Eisenauer Männer gehen sie gar nichts an. Kümmern sie sich um ihre eigenen Angelegenheiten.”
Jetzt freute sie sich sogar noch, dass die Mütze ins Wasser gefallen war, doch ich hoffte die ganze Zeit, dass die Wirtin, Frau K., mich nicht nach dem in Zeitungspapier gewickelten Gegenstand auf dem Ofen fragen würde. Zwischendurch wickelte ich sie immer wieder aus, walkte das Leder und bearbeitet das Fell mit einer Bürste.
Vor dem Zubettgehen wollte Frau K., dass ich am nächsten Tag extra früh aufstünde um dem Herrn Holzhändler das Frühstück zu bereiten. Sie sagte, er habe seine Geschäfte erledigt und wolle früh aufbrechen. Ich würde auch ein besonders hohes Trinkgeld bekommen.
Das Geld hätte ich schon gerne gehabt, aber ich fürchtete die Schelte wegen der Mütze und wollte meinen Kopf nicht für Peppis Missgeschick hinhalten. Schließlich hatte nicht ich das teure Stück in die dreckige Handtuchlauge geschubst. Ausnahmsweise zeigte ich mich einmal arbeitsunwillig. “Ich brauche meinen Schlaf”, sagte ich. “Jeden Tag muss ich um fünf aufstehen. Soviel Trinkgeld kann der gar nicht geben, dass ich noch eher aufstehe.”
Sie war nicht begeistert, aber sie nahm es hin und vielleicht stand sie selber auf.
Was sich am nächsten Morgen abspielte, weiß ich nicht. Als ich um 5 Uhr in die Küche kam, war der Holzhändler schon weg. Vielleicht hatte er gar nichts gemerkt. Ob er ein Frühstück bekommen hatte oder hungrig abgefahren war, weiß ich nicht. Ich fragte nicht.
In der Nacht hatte ich die Mütze wieder an ihren Platz gehängt. Da war sie noch etwas feucht.
Mit den Kantinengästen kam ich eigentlich meistens gut aus. Trotzdem gab es auch unangenehme Erlebnisse. Wenn Zahltag war, und viele Männer den Hauptteil ihres Geldes sogleich vertranken, setzte Herr K. in der Küche in zwei großen gusseisernen Töpfen, die innen emailiert waren, eine Art Punsch an. Er mischte Rotwein, Schnaps, Zucker, Zimt, Nelken.Waren die beiden großen Töpfe gelehrt, wurden zwei neue gefüllt. Die Männer soffen am Zahltag meist bis 2 oder 3 Uhr morgens. Herr K. holte den Wein mit einer großen Kanne aus dem Keller. Den Schnaps ließ er bei der zweiten Portion weg. Stattdessen setzte er zwei Hände voll Pfeffer zu. Es sollte ordentlich brennen und bei den Männern die Illusion erzeugen, dass der Punsch besonders viel Schnaps enthalte. Da sie um diese Zeit schon ziemlich angedudelt waren, merkte es keiner.
Um den Ausschank kümmerte sich hauptsächlich Herrn K.s jüngerer Bruder. Ich betrat den Gastraum nie, achtete auf eine geschlossene Küchentür und hielt mich von der besoffenen Meute fern.
Auch die Förster kehrten jede Woche in der Kantine ein. Unter ihnen hatte ich einen Verehrer, der mir aber nicht gefiel. Nachdem ich ihn mehrmals abgewiesen hatte, sagte er mir ins Gesicht, ich brauche gar nicht so eingebildet zu tun, ich sei doch nur ein Dienstmädchen. Das ärgerte mich ganz gewaltig und als ich es daheim erzählte, sagte mein Bruder: “Dem kannst du ausrichten, dass du ein Zuhause hast, in das du jederzeit kommen kannst. Frag ihn, ob er das auch aufweisen kann. Diese Förster sind doch meistens arme Schlucker. Wenn sie den rausschmeißen, kann er in einen Zigeunerwagen einziehen.”
Ich fand aber meine eigene Art der Rache: Als die Försterrunde wieder einmal in der Kantinenküche beieinander saß und Karten spielte, wusch ich auf einem Nebentisch Geschirr ab. Damals hatten wir kein Spülmittel. Große Blechschüsseln mit sehr heißem Wasser standen auf dem Tisch. Ich schrubbte die Teller und Töpfe in einer Schüssel und übergoß sie in einer zweiten noch einmal mit sehr heißem Wasser um die letzten Fettreste zu entfernen. Die Fettaugen schwammen auf der Wasseroberfläche. An der Wand vor mir befand sich ein Geschirrrahmen. So nannten wir im Zipserdialekt das Möbelstück, das in anderen Gegenden Tellerbord heißt. Ich nahm einen großen Tiegel und tat so, als wolle ich ihn an einen Haken des Geschirrrahmens hängen. Er entglitt meinen nassen Händen und platschte in die fettige Brühe. Es spritzte nach allen Seiten, aber die Hauptmenge bekam mein abgewiesener Verehrer ab, der am Kopfende des Förstertisches saß. Wütend sprang er auf und schrie mich an. Seine schmucke Försteruniform triefte nur so von Fett. “Das haben sie absichtlich gemacht!” zischte er mich an. Ich stritt es natürlich ab und behauptete, der Tiegel sei mir aus den nassen Händen gerutscht.
“Warum sitzen sie überhaupt hier in der Küche herum?” fragte ich. “Gehen sie in die Gaststube, dann werden sie nicht nassgespritzt.”
Die anderen Förster, die nur etliche Spritzer abbekommen hatten, wischten sich ab und stimmten mir zu: “Eigentlich hat sie ja Recht. Wir sind hier in der Küche und da kann so etwas schon einmal passieren.”
Jetzt bin ich über 80 Jahre alt und es freut mich noch heute, wenn ich an diese Geschichte zurückdenke.
Jeden Tag machte ich mir einen Becher mit Schwarztee, Rotwein und Zucker zurecht. Dazu aß ich Weißbrot. Ob Frau K. merkte, dass ich für mich immer einen Spezialtee zubereitete, weiß ich nicht. Sie sagte nichts und trank wie der Rest ihrer Familie Schwarztee mit Zitrone.
Vielleicht hätte sie mir den Wein gegönnt, doch ich dachte: “Was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß.”
Als Frau K. mir eines Tages mitteilte, dass sie schwanger sei, begann ich über das baldige Ende dieses Dienstverhältnisses nachzudenken. Im Frühjahr werde man hier mit der Arbeit kaum fertig, hatte Ginne mir erzählt. Die Euter der Kühe würden nur so strotzen vor Milch, denn die Weiden in dieser Gegend seien besonders fett.
Fast alle Arbeit in Haus und Küche würde an mir hängen bleiben, sobald das Kind da sei.
Ich kündigte rechtzeitig damit Frau K. sich nach passendem Ersatz umsehen konnte.
Nach der Niederkunft war die Kantinenwirtin eine Weile krank und wurde von Frau Ruckober
gepflegt, einer Eisenauerin, die als Krankenschwester arbeitete. So erfuhr ich, dass Frau K. sehr lobend über mich gesprochen hatte und beklagte, dass ich nicht länger geblieben sei.
Als Haushälterin bei meinem Bruder Ambros
Meine letzte Arbeitsstelle, bevor ich heiratete, war bei meinem Bruder Ambros. Nach dem plötzlichen Tode seiner Frau Ida brauchte er Hilfe.
Sie bekam eine Blinddarmentzündung, litt große Schmerzen, und mein Bruder ließ sie ins Krankenhaus nach Kimpolung bringen. Eigentlich hätte ich als Begleitperson mitfahren sollen, doch man traf mich nicht zu Hause an. Ersatzweise wurde ein 14jähriges Mädchen mitgeschickt. In der Nacht nach der Operation riss sich Ida den Verband ab. Das Mädchen, das bei ihr Nachtwache halten sollte, war eingeschlafen. Ob das Verbandabreißen an Idas Tod schuld war oder ob sie sowieso gestorben wäre, ich weiß es nicht. Vielleicht wäre es anders ausgegangen, wenn man mich gefunden hätte und ich es gewesen wäre, die nachts auf sie aufpasste. Vielleicht wäre sie trotzdem gestorben.
Am Tag nach Idas Tod schickte mich meine Mutter zu meinem Bruder um ihm im Haushalt zu helfen und auf seinen kleinen Sohn Toni aufzupassen, der damals 9 Jahre alt war. Ein Jahr arbeitete ich für Ambros. Als Lohn dafür stellte er mir für ein Jahr fünf Prajini (rumänisches Flächenmaß) Grund zur Verfügung, auf denen ich Kartoffeln anbauen konnte. In Geld umgerechnet waren das etwa 500 Lei. Anderswo hätte ich als Haushälterin 1600 Lei im Monat verdienen können.
Während dieses Jahres kam häufig meine Schwester Linni vorbei um zu kontrollieren, ob ich auch alles richtig machte. Das ging mir mit der Zeit auf die Nerven. “Bevor du hier dauernd zur Kontrolle erscheinst”, sagte ich zu ihr “gib mir lieber endlich den Kleiderstoff, den du mir noch schuldest.” Es war schon eine ziemliche Weile her, dass ich Linnis Haus ausgeweißt hatte, und noch immer fehlte die Bezahlung.
Damals war es üblich, dass man schnell nach einer zweiten Ehefrau Ausschau hielt, die sich um Haushalt und Kinder kümmern konnte. Mein Bruder wurde mit einer übriggebliebenen Försterstochter verkuppelt, die älter war als er, aber im Ruf stand, finanziell eine gute Partie zu sein. Meine Mutter war ganz versessen auf diese Schwiegertochter und redete meinem Bruder, der lieber eine Rumänin, die er von der Arbeit im Steinbruch kannte, geheiratet hätte, diese Idee aus. Ambros hatte 15.000 Lei Schulden, weil er die Blinddarmoperation seiner ersten Frau bezahlen musste. Also gab er nach.
Später stellte sich heraus, dass die angeblich so reiche Försterstochter nicht einmal eine Aussteuer hatte. Sie war auch eine schlechte Hausfrau. Vernunftehen machen manchmal nicht einmal finanziell glücklich.
Während des Jahres bei meinem Bruder heiratete ich, blieb aber noch bei ihm bis er selber endlich eine Frau hatte. Nach der Hochzeit wollte seine neue Frau Susi noch 14 Tage in ihrem Elternhaus bleiben. Also harrte ich auch noch diese zwei Wochen bei meinem kleinen Neffen aus.
Aber dann war meine Dienstzeit endlich vorbei und ich arbeitete nur noch für meinen eigenen Haushalt.
Nachwort:
Gisela Oberländer musste 1940 im Rahmen der Umsiedelungsaktion ihr Heimatdorf Eisenau verlassen. Gegen Kriegsende flüchtete sie mit ihrer Tochter aus Oberschlesien nach Bayern. Dort starb sie im Jahr 2000 im Alter von 93 Jahren.
Ihre Nachkommen leben in Bayern.
Ambros Kattani, Giselas Bruder, wollte Eisenau nicht verlassen. Als die Zipser das Dorf verließen, zog er in das Elternhaus seiner zweiten Ehefrau und übernahm den Besitz der wohlhabenden Försterfamilie. Die kommunistische Regierung durchkreuzte seine Träume vom Wohlstand.
Sein Sohn aus erster Ehe, der die Umsiedelung mitgemacht hatte, fiel im 2. Weltkrieg. Seine Tochter aus zweiter Ehe verließ als Spätaussiedlerin um 1970 herum die Bukowina und ging nach Bayern.
Ambros Kattani starb 1962 im Alter von 70 Jahren und wurde auf dem Eisenauer Friedhof beerdigt.
Giselas Schwester Carolina, genannt Linni, starb 1938 in Eisenau an Herzversagen. Ihr Ehemann Gustav wurde in Oberschlesien von polnischen Partisanen erschossen.
Ihre Nachkommen leben in Deutschland.
Giselas Schwester Augustine, genannt Gusti, starb 1931 kinderlos in Eisenau. Ihr Ehemann heiratete ein zweites Mal und hatte auch mit dieser Frau keine Kinder.
Giselas Schwester Amalie, genannt Mali, verlor ihren einzigen Sohn im 2. Weltkrieg. Sie starb 1970 in Bayern.
Giselas Schwester Angela, genannt Gelli, starb 1974 in Bayern. Ihre Nachkommen leben in Bayern und Kanada.