Von Knappmaul und Hanfhupse:

Weihnachtssitten und -Bräuche der Schwaben

*Veröffentlicht in Bukowina: Heimat von Gestern
(Karlsruhe: Selbstverlag “Arbeitskreis Bukowina Heimatbuch,” 1956), S. 353-55
herausgegeben von Erwin Massier, Josef Talsky, and B. C. Grigorowicz

Veröffentlicht 22. Juli 2004


Wenn sich mit der Adventzeit auch gewöhnlich der erste Schnee in der alten Heimat einstellte, zog mit den frostklaren Nächten ein trauter Zauber vorweihnachtlichen Treibens in den Schwabengemeinden ein. Unter dem grau verhangenen Himmel wurden die Kerzen weit, und in das sanfte Spiel der Flocken mischte sich wie ein zartes unendliches Band das Raunen der Kinder um das Christfest. Voll Eifer hielten sie an klaren Abenden Ausschau nach der untergehenden Sonne und wenn diese sich glühende Abendröte an das Firmament zeichnend, hinter dem Horizont senkte, huschten die Kleinen in die warmen Stuben und wisperten mit strahlenden Augen: “Das Christkind hat das große Feuer im Himmelsbackofen angezündet und fängt mit Backen an.” Und von ihren übervollen Herzen strahlte es über auf die Jungen und Alten im Raume und schaffte sich Luft in den alten vertrauten Weihnachtsweisen. Legte sich darauf wieder besinnliche Stille über die Stube, so spitzten die Buben und Mädchen die Ohren, ob sich nicht polternde Schritte vernehmen ließen, die das Nahen des “Nikelos” ankündigten.

Die Zeit bis zum Weihnachtsfeste gehörte dem Nikolaus und seinen bärtigen Gesellen. Burschen durchzogen, in lange Pelze gehüllt und durch eine schaurige, selbstgefertigte Stoffmaske mit Flachsbart unkenntlich gemacht, die Dorfstraßen und machten sie unsicher. Den weiten Pelz hielt ein Strohseil zusammen und der Kopf verschwand bis auf das maskierte Gesicht unter einer großen Lammfellmütze Eine Kette, ein weiter Sack und eine Haselnußrute gehörten zur weiteren Ausrüstung des Nikolaus. Mit besonderer Vorliebe suchten die Unholde die Spinnstuben der Mädchen heim, lauschten an den Fenstern, trieben allerlei Schabernak, um das Weibervolk zu ängstigen oder drangen gar in die Stuben ein, um ihre derben Spässe mit den Mädchen zu treiben. Nur durch einen Kuß konnten diese sich von den Gesellen wieder freikaufen. Den Kindern, besonders den Buben im Hause, wurde oft arg mitgespielt. Sie mußten beten und bekamen totzdem die scharfe Rute zu schmecken, mußten Fleiß und Bravheit versprechen, und es blieb ihnen gewöhnlich dennoch nicht erspart, in den Sack gesteckt und von den kettenrasselnden Kumpanen in den Hof gezerrt zu werden, wo sie sich nur unter Bitten und Flehen die Freiheit wieder erkaufen konnten.

Besonders reizend waren die Nikolausgruppe, die ein “Knappmaul” mit sich führten. Zwei Burschen, selten drei, erschienen unter gemeinsamer Verkleidung als vierfüßiges Ungeheuer, das eine schaurige holzgeschnitzte Maske trug, die mittels besonderer Vorrichtung mit den Kinnladen des unheimlichen Rachens klappern konnte. Rückte das Christfest näher, traf man oft auch das “Christkind” in diesen Gruppen an. Es war ein gewöhnlich in Weiß verkleidetes und durch einer Schleier unkenntlich gemachtes Mädchen, das, mit Rute und Glöcklein ausgerüstet, den Kindern auf seine Weise mitspielte.

Mit dem Christabend endete der Spuk auf den Straßaen, und der Lichterbaum und das heimatliche Brauchtum standen im Mittelpunkt des Geschehens. Der Reiz des Christbaumes lag in der besonderen Art seines Schmuckes. Schwer beladen mit Äpfeln, Nüßen, Lebkuchen und “Lezelchen” stand er in der guten Stube und war über und über umwunden mit aus buntem Papier und Strohhalmen gebastelten “Ketten”. Unter ihm fand groß und klein seine Geschenke. Nur Mädchen, die ein Verehrer hatten mußten auch nach der Haustürklinke sehen; denn dort pflegten die Burschen heimlich und leise das Geschenk für ihre Angebetete anzubringen.

Sank die Jugend bald müde ins Bett, nahmen die Erwachsenen die Gelegenheit zur Pflege manch altübernommenen Brauches und auch Aberglaubens wahr. Mädchen im heiratsfähigen Alter, die wissen wollten, ob ihnen im kommenden Jahre der ersehnte Bräutigam beschieden sein würde, steckten heimlich in jede der vier Ecken ihres Bettes eine Zwiebel. Diejenige, die zuerst grünte, sollte anzeigen, aus welcher Himmelsgegend sich der erwartete Freier einstellen werde. Ältere Frauen legten beim Schlafengehen die Bibel griffbereit neben ihr Bett und Schlugen, erwachten sie nachts, diese auf. Die aufgeschlagene Stelle sollte mit dem Geschehen im nächsten Jahre in engster Beziehung stehen. Ganz Neugierigen aber wurde empfohlen, sich um Mitternacht heimlich in den Stall zu schleichen, wo sich das Vieh, zu menschlicher Stimme gelangt, um diese Stunde darüber unterhielt, was die nahe Zukunft seinem Herrn bringen werde.

In erster Linie interessierte die bäuerliche Bevölkerung aber die Frage nach dem Wetter und der Ernte des nächsten Jahres. Schwere Rauhreiflast der Bäume am Heiligen Abend deutete man als gutes Vorzeichen für eine reiche Obsternte, und wer an diesem Abend seine Obstbäume mit einem Strohseil umwand, war gewiß, daß diese ihm einen guten Ertrag bringen würden. Auch das Gedeihen des Hanfes und Flachses, der wichtigen Gespinstpflanzen, glaubte man beeinflussen zu können. Hier fiel den Männern eine reizende Aufgabe zu. Sie mußten nachts aufstehen, sich mit ihrer Hose bekleiden, diese aber dabei weit über die Brust ziehen und solchermaßen recht hohe Sprünge zu vollführen suchen. Je besser und höher ihnen beides gelang, deso üppiger sollten dann diese Pflanzen geraten. Die voraussichtliche Entwicklung des Wetters im neuen Jahre versuchte man durch das Kalendermachen zu ergänzen. Sechs Zwiebeln wurden gehälftet, und jede Hälfte erhielt den Namen eines Monates. Die so gewonnenen “Schlüsselchen” bestreute man mit Salz und ließ sie über Nacht stehen. Am Morgen wurde dann festgestellt, auf welchem Schüsselchen das Salz ganz zerlaufen war; der betreffende Monat sollte naß werden. Selbst einen stets prall gefüllten Geldbeutel, hieß es, könnte man sich sichern, wenn man um Mitternacht mit einem Schlüsselbund bewaffnet, dreimal unter heftigem Klirren die Runde um sein Anwesen machte.

Die Festtage verliefen dann in ruhiger Beschaulichkeit. Die Kinder holten von ihren Paten die obligaten Geschenke, Obst, Nüsse und einen großsen Strizel (Brezel) ab und vertrieben sich die langen Nachmittage mit dem beliebten Nüssespiel, dem “Kutz”. Viel Lärm brachte einen Tage später die Neujahrsnacht, und am Neujahrsmorgen zogen die Kleinen gaßauf, gaßab, um bei Nachbarn, Bekannten und Verwandten ihre wohleinstudierten Wünsche vorzutragen. Dafür wurden sie mit Geldgaben oder sonstigen kleinen Geschenken belohnt.

Rasch wie sie gekommen, waren die frohen Tage auch wieder verstrichen, und zurück blieb die winterlich verzauberte Landschaft, in der die Dörfer weiterträumten und die Menschen weiter strebten, bis der Frühling die schaffenden Hände zu neuer Saat und Ernte rief.